środa, 07 październik 1998 20:30

Das Erbe der Zeitschrift "bruLion"

Napisane przez Przemysław Czapliński
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Ich habe das Thema so formuliert, daß ich nicht nur ein paar Worte über die Geschichte der Zeitschrift "bruLion" sagen kann, sondern auch über ihre Bedeutung, ihren Stellenwert und die sowohl in der Zeitschrift praktizierten als auch den Lesern angebotenen Formen der Beteiligung an der Kultur. Mit anderen Worten: Es geht um bestimmte Verhaltensmuster. Eine solche Themenstellung läßt eine Verwendung des Begriffs "Erbe" zu, die unabhängig davon ist, ob "bruLion" weiter erscheint oder nicht.

Ganz gleich, ob es eine - ungeduldig erwartete? in zunehmendem Maße unwahrscheinliche? - Fortsetzung von "bruLion" gibt, hat doch diese Zeitschrift mit ihren Veröffentlichungen dafür gesorgt, daß jede Darstellung des Umbruchs von den achtziger zu den neunziger Jahren auf "bruLion" eingehen muß, und zwar nicht im Hinblick auf eine konkrete litrarische Gattung, sondern auf ein kulturelles, soziologisches und generationsspezifisches Phänomen. Jarosław Klejnocki und Jerzy Sosnowski mögen sich in ihrem Buch Chwilowe zawieszenie broni. O twórczości tzw. pokolenia bruLionu (Zeitweiliger Waffenstillstand. Über die Arbeit der sog. "bruLion"-Generation) irren, wenn sie die Generation als Kategorie auf ein Phänomen anwenden, das weit über generationsspezifische Grenzen hinausreicht, aber sie irren sich ganz gewiß nicht, wenn sie die Generation der Dreißigjährigen als "bruLion"-Generation bezeichnen, denn dieser Name verkörpert die krassesten Tendenzen und die Extreme, die zutage traten, als diese Generation anfing, sich aktiv am Kulturgeschehen zu beteiligen.

Aber man darf sich nicht auf den Werdegang einer einzigen Generation beschränken, denn wenn sich mit der Wende von den achtziger zu den neunziger Jahren in der polnischen Kultur ein Umbruch vollzog, dann wurde er von der Zeitschrift "bruLion" und nicht von der betreffenden Generation herbeigeführt. Um diesen Umbruch zu illustrieren, scheint es ratsam, das Phänomen im Querschnitt zu betrachten - es unter dem Gesichtspunkt dessen zu betrachten, was "zu holen" war, also genau unter dem Gesichtspunkt des Erbes der Zeitschrift "bruLion". Ich will im folgenden auf vier verschiedene Wirkungsbereiche der Zeitschrift eingehen, und zwar auf die Rolle der Zeitschrift als 1. Institution, 2. Medium 3. Programm und 4. Strategie.

I

Fangen wir mit der Rolle der Zeitschrift als Institution an. Das ist nicht nur deshalb ratsam, weil sich dieses Erbe am leichtesten beschreiben läßt, weil es sich aus meßbaren Taten und Werten zusammensetzt, sondern auch deshalb, weil "bruLion" ganz besonders in diesem Bereich über den Rahmen einer reinen Zeitschrift hinausreicht.

Zum institutionellen Erbe gehören vor allem diejenigen Wirkungsbereiche, die sich in gewissem Sinne anläßlich des Erscheinens der Zeitschrift ergaben, ihre Popularität steigerten und für ihre rasche Verbreitung sorgten, die aber gleichzeitig Zeugnis dafür sind, daß "bruLion" von Anfang der neunziger Jahre an nicht mehr nur innerhalb des eigenen Rahmens stattfand, sondern vielfältige verborgene Wirkungsebenen mobilisierte und bei so vielen Rezipienten das Bedürfnis nach einer eignenen Poetik weckte, daß sie sich in neuen Verkörperungen manifestierte, die sich bald verselbständigten und begannen, ein unabhängiges Leben zu führen. Mit einem Wort: das institutionlle Erbe ist "bruLion" außerhalb von "bruLion".

Ich denke dabei vor allem an die "bruLion"-Bibliothek, etwa dreißig kleine Bände mit Dichtung, die in drei farblich voneinander unterschiedenen Serien - lila, weiß und vielfarbig - erschienen sind. Daneben gibt es die bis 1993 im Radiosender "Kolor" ausgestrahlten Sendungen unter dem Titel Ultraviolett sowie die regelmäßigen Fernsehsendungen AlternaTiVi und Dzyndzylyndzy. Dazu gehören auch Videos mit Aufzeichnungen von Fernsehsendungen. Und schließlich das Vorhaben, eine Webseite im Internet einzurichten, von dem ich nicht weiß, ob es inzwischen realisiert worden ist.

II

Die Zeitschrift entstand 1986 in Krakau. Die erste Nummer wurde von Robert Tekieli, Olga Okoniewska, Katarzyna Krakowiak und Boguś Serafin vorbereitet. In seinem Kommentar zur Gründung von "bruLion" erklärte Robert Tekieli: "Es war damals eine Zeit, in der wir alle in einer dicken, dunklen Suppe herumschwammen." Es war die Zeit des allmählich verlöschenden Kommunismus, "[...] der Rauch der Kriegszustandes hatte sich gerade verzogen und damit auch die Möglichkeit, in Auseinandersetzungen mit der ZOMO die häßliche Wirklichkeit abzureagieren. Ich wollte nicht auswandern. Deshalb beschloß ich zusammen mit ein paar Freunden, etwas zu machen. [...] Wir konnten uns einfach mit dem, was uns umgab, nicht abfinden." ("Rzeczpospolita" 1993, Nr. 172). Dieses "Sich-nicht-abfinden-können" war, wie man ergänzen muß, das Problem einer zahlenmäßig bedeutenden (aber in ihrem Gewicht unbedeutenden) Gruppe von Menschen. In Tekielis Darstellung ist die Gründung der Zeitschift eine Reaktion auf die Unbestimmtheit der Zeit und damit gewissermaßen ein Weg, der Welt einen Ausdruck zu verleihen, oder eine Strategie zur Suche einer eigenen, fest umrissenen Identität.

Diese Suche tritt in der Geschichte von "bruLion" deutlich zutage. Zwischen ’86 und ’88 war das Krakauer Magazin eine kulturell redigierte Zeitschrift, die absichtlich ästhetisch orientiert war und sich der Politisierung anderer, nur scheinbar literarischer Zeitschriften wie "Wezwanie" (Berufung), "Obecność" (Anwesenheit) und "Arka" (Arche) - deutlich entgegenstellte. Was in den "bruLion"-Ausgaben jener Jahre überwiegt, sind Aufsätze, Dichtung und Prosa von hoher Qualität sowie hervorragende Übersetzungen ausländischer Literatur. Dieser Schwerpunkt der Ästhetik reflektierte eine innere Einstellung. Es ging nicht um Perfektionismus, die Befriedigung künstlerischer Bedürfnisse, sondern eher darum, daß man seine Kennerschaft der Kunst wie eine Art Visitenkarte präsentierte. "bruLion" war wohl die erste Zeitschrift, die auch Autoren druckte, die nicht in den Rahmen der von Solidarność betriebenen Politik paßten, die sich nicht ideologisch äußerten und politisch nicht engagiert waren. Die ersten vier Nummern wirken wie eine Kreuzung aus "Zeszyty Literackie" (Literarische Hefte) mit "Literatura na Świecie" (Literatur in der Welt).

So finden wir in Heft 4 beispielsweise Texte von Solschenizyn, Bohdan Czaykowski, Josef Skvořecký, Joseph Brodsky, Ewa Lipska, Tomasz Jastrun, Zbigniew Machej und Krzysztof Koehler, und bei den Neuentdeckungen Gedichte von Manuela Gretkowska. Das Verhältnis von "Jungen" zu "Alten" und "Bekannten" zu "Unbekannten" fiel also eindeutig zu Ungunsten der "Jungen" aus. Aber just in dieser Nummer 4 erschienen auch zwei Texte, die bereits auf die Linie des als wegbereitend verstandenen Erbes verweisen, die daraus resultiert, daß der Zeitschrift die Rolle der Vermittlerin eines umbruchorientierten Inhalts zugeschrieben wird.

Die Behauptung, daß gerade "bruLion" diese Verbindung von Umbruch und Zeitschrift herstellte, und der Zeitschrift die Funktion des Trägers neuer Praktiken zuwies, ist insofern wichtig, als die zweite Hälfte der achtziger Jahre für Zeitschriften eigentlich eine Phase der Leere war, eine Phase, in der sie im Gegensatz zu Lyrikbänden, Veröffentlichungen literarischer Gruppen, Manifesten oder alternativen Aktivitäten keine sichtbare, für einen Umbruch entscheidende Rolle spielten. Allgemein spürte man die Ermüdung der offiziell herausgegebenen Zeitschriften wie "Literatura", "Poezja", "Twórczość" (Schaffen) und "Akcent", aber die Krise der inoffiziellen Zeitschriften war ebenso spürbar. Darauf bezog sich Radosław Smutny, als er schrieb: "Im Grunde braucht man die Untergrundpresse gar nicht zu lesen. Es reicht, wenn man das früher einmal gemacht hat. Heutzutage ist es so, daß man mit dem Titel auch den Kreis der damit verbundenen Namen kennt. [...] Inhalt und künstlerisches oder intellektuelles Niveau der Artikel und Gedichte lassen sich entsprechend leicht voraussehen." (R. Smutny: Obrzydzenie [Ekel]. "bruLion" 1987-88, Nr. 4). Man muß hinzufügen, daß Smutny die dritte Nummer von "bruLion" auf genau dieselbe Weise charakterisierte.

In Nummer 11/12 veröffentlichte derselbe Autor eine im Ton ähnliche Besprechung des "Tygodnik Powszechny" (Allgemeine Wochenzeitung). "Der ‚Tygodnik‘ stirbt allmählich ab. Verknöchert. Er erinnert immer mehr an die kombatanten Emigrantenzeitschiften: erstarrtes Pathos von Schützengräben abseits der Schußlinie. Nachrufe und Anzeigen von Bestattungsunternehmen überwiegen. Stille. Federbetten in Gestalt von Barrikaden." (R. Smutny: Tygodnikomowa [Wochensprech]. "bL" 1989, Nr. 11/12). In beiden - in der Tat sehr ungerechten - Besprechungen betonte Smutny vor allem die Verbohrtheit in das, was "recht " war, die Stagnation jeder Argumentation, die Erstarrung der Ideen. Wenn man aus diesen Kritiken irgendwelche praktischen Hinweise entnehmen kann, dann nur die, daß den Redakteuren von "bruLion" klar war, wie leer das Konzept einer politischen Zeitschrift sein mußte, die in Auseinandersetzungen mit dem Kommunismus versunken war, sich ausschließlich im ethischen Kontext erklären und in einfachen Antitotalitarismus umsetzen ließ. Da die Gesellschaft aber weiterhin in einem politischen Schachspiel stand, waren wesentliche Inhalte nicht von einer literarischen Zeitschrift zu erwarten, sondern in einem mit Büchern oder einer politischen Zeitschrift geführten Diskurs. Man hat auch den Eindruck, daß "bruLion" in der ersten Phase seines Bestehens - also bis zur Nummer 9 - keinerlei Kreuzzüge führte. Man wollte einfach eine Zeitschrift machen. Die Redakteure und Mitarbeiter, die sich zum größten Teil damit abfanden, vorgegebene Rollen zu besetzen und die bestehende Hierarchie zu bestätigen, suchten damals noch nach ihrem modus scribendi, ihrem Stil zu schreiben, ihrem Wertesystem, ihrer eigenen Art und Weise, sich zu öffnen und aus der "dicken Suppe" herauszufinden. Ein erster Schritt auf dem Weg, ein eigenes Profil zu gewinnen, war kein Programm, sondern die Verletzung dessen "was sich schickt" in kritischen Reaktionen.

So erschien außer Obrzydzenie in Nummer 4 noch die Rezension J‘accuse von MET über die Gedichtbände von Gwido Zlatkes (Piosenka o zdradzie i inne wiersze [Das Lied vom Verrat und andere Gedichte]. NOWa 1987) und Helena Komorowska (Żelazna pajęczyna [Das eiserne Spinnennetz]. NOWa, Warszawa 1987). In seinem Text nannte MET eine Gefahr beim Namen und entmystifizierte den Mechanismus des literarischen Betriebs, in dem jemand allein durch eine bestimmte Biographie schon zum Dichter wird. "Was schadet es schon, die Gedichte von Gwido Zlatkes zu drucken, der mit fragloser Leidenschaft in der Agencja Solidarności AS gearbeitet hat...? Was schadet es schon - das Papier ist da, die Maschinen sind da, und der Autor hat nichts dagegen! Gwido Zlatkes, Helena Violetta Komorowska, Leszek Szaruga, Tomasz Jastrun, Lothar Herbst. Was aber geschieht, wenn sich zeigt, daß auch andere Oppositionelle Gedichte und - Gott behüte! - Romane schreiben?" (MET: J‘accuse. "bL" 1987/88, Nr. 4). Im Grunde war es eine Schmähschrift gegen die Gleichsetzung von politischem Verdienst mit literarischer Begabung, gegen die Anwendung eines ethischen Kriteriums, gegen die Verwendung von Biographie und Politik als Maßstäbe für den Wert von Dichtung.

In der Nummer 7/8 gab es darauf eine scharfe - in protektionistischem Ton gehaltene - Antwort von Antoni Pawlak, der unter anderem feststellte: "Jemand versteht hier nichts von Literatur. Entweder MET oder ich." Und: "Ich meine, daß die literarische Stellung von Jastrun, aber auch von Szaruga zu ernstzunehmen ist, als daß solche Vorwürfe erhoben werden könnten." (S. 167). Auf diesen Brief antwortete MET bissig: "Sie haben es treffend erfaßt: Jemand versteht hier nichts von Literatur [...] Ich stimme mit Ihnen überein, daß die literarische Stellung von Jastrun und Szaruga zu ernst genommen wird." (S. 168). Mit ein wenig Übertreibung kann man sagen, daß in diesem Augenblick das zweite "bruLion" geboren wurde - das Angebot als Medium, sein Programm und seine Strategie.

In dieser Replik nämlich traten wesentliche Grundzüge zutage, die Existenz und Wesen der Zeitschrift prägten. Die erste solche Regel beruhte darauf, daß es am Anfang kein Progamm gab, sondern nur eine "Ortung durch den Kampf". Polemiker, Kritiker, Besserwisser soufflierten der Zeitschift, was das wahre Streitobjekt sei, was ein scheinbarer und was ein echter Wert sei, und vor allem, in welcher Sprache die Werte angesiedelt seien. Die Unverfrorenheit der Jugend beruht unter anderem darauf, daß sie die älteren zu wiederholten Erklärungen ihrer eignen Position zwingt, zu einer Legitimierung ihrer selbst und zu einer Übertragung ihrer Vergangenheit auf die Gegenwart. Mit seinen - anfangs ja äußerst bescheidenen - kritischen Texten veranlaßte "bruLion" gerade die Älteren dazu, ihre Argumente offenzulegen, oder genauer, die Sprache offenzulegen, in der die alten Werte ihre Gültigkeit behalten hatten. Und erst anläßlich dieser Replik wurde deutlich, daß dem rhetorischen und axiologischen Gefüge des bisherigen literarischen Milieus eine Feuerprobe bevorstand.1

Mit einem Wort: Es waren die Polemiker, die den Redakteuren von "bruLion" einflüsterten, die Krakauer Zeitschrift könne zu einer Generations- und Umbruchszeitschrift werden, daß eine Zeitschrift einen größeren Auftrag haben könnte, als die Präsentation bekannter Namen und die Förderung von Debütanten, nämlich die Rolle einer Agora (in der Tat eher einer Agora als eines Forums) für weltanschauliche Auseinandersetzungen, die Rolle einer Zeitschrift, die die Stile und Möglichkeiten des Ausdrucks erweitert und dem Engagement in der Kultur umfassenden Ausdruck verleiht. Damit begann die Gestaltung einer Programmzeitschrift, die sich zwischen den Nummern 4 und 9 der eigenen Möglichkeiten eines authentischen Charakters allmählich bewußt wurde. Aus dieser Perspektive waren die weiteren Schritte vorbestimmt. An diesem Scheideweg zwischen Authentizität und "Kultiviertheit" (dem Schicklichen, Gehörigen, Normalen) angelangt, entdeckte "bruLion" einen ganzen Garten vielfach verzweigter Pfade - einen Garten der schockierenden, zweitrangigen, inferioren, peinlichen Themen, die manchmal verborgen oder Gegenstand von "Gemunkel" waren, aber echte Themen darstellten, die in der zeitgenössischen Kultur eine Funktion hatten und dicht am Puls der Zeit lagen.

In diesem Sinne kann man den Inhalt der folgenden Nummern interpretieren: In Nr. 9 ein Text von Bataille, der als pornographisch gilt, in Wahrheit aber nur Symptom einer extremen Freiheit des Schreibens und Ausdruck der Suche nach den Verbindungen zwischen Sexualität und Verboten ist. Ergänzend dazu gab es einen Text über die sexuelle Revolution, in dem Chomeini, Nixon, Breschnjew, Reagan, Mao, Castro und Johannes Paul II. als Vertreter des repressiven Lagers genannt werden. In Nr. 11/12 waren Antikultur, Kontestation und Rauschmittel das Thema. In dieser Nummer fand sich der Text Die Unmoralität der Prohibition von Marie Andre Bertrand, der für eine Aufhebung gesetzlicher Beschränkungen des Rauschmittelkonsums plädiert. Ebenfalls veröffentlicht wurde ein Artikel von Wojciech Bockenheim unter dem Titel Neokontestation, der die folgende bezeichnende Äußerung enthält: "Es unterliegt [...] keinem Zweifel, daß politische Aktivität der infragestellenden Selbstbstimmung diametral entgegengesetzt ist. Denn eine Einmischung von außen in zwischenmenschliche Beziehungen droht immer mit einer Verletzung des individuellen Rechts auf Selbstbestimmung [...] und läßt sich deshalb nicht mit den Gesetzen des Individualismus versöhnen" (S. 103). In Nr. 13 von "bruLion" verfiel man dann wieder auf etwas anderes: fiktive Reportagen zur Beschreibung wahrscheinlicher Phänomene (wie des abrupten Übergangs zu einer abgestumpften Postkonsumgesellschaft nach der Entdeckung großer Erdölvorkommen in Polen).

Den Umschlag der nächsten Ausgabe - das war die Nummer 14/15, die 1990 als erste legale Ausgabe erschien - zieren die Namen Blake, Seifert, Céline und die Ankündigung: "sensationelle Debüts ‘90". Mittelpunkt und Aufhänger der Nummer aber war der antisemitische Text von Céline. Den Sinn dieser Veröffentlichung kann man wiederum in bezug auf die oben umrissene Situation verstehen: Die Kraft, die "bruLion" den Charakter einer Zeitschrift des Umbruchs verlieh, war die Schwäche unserer Kultur - ihre Rückständigkeit, Phrasendrescherei, ihr Hang zum Deklarativen und zur leeren Rhetorik, die an die Stelle eines fundierten Diskurses getreten waren.2 Nachdem die Zeitschrift genau ins Schwarze dieses ersten wunden Punktes getroffen hatte, konnte sie es sich zur Taktik machen, alle möglichen, und insbesondere extremen Positionen zu Wort kommen zu lassen, und sie entdeckte ihre Strategie in der Infragestellung von Deklarationen geltender Autoritäten über die Gesellschaft. Das Motto der Wende 1989 waren Freiheit und Toleranz, also veröffentlichte "bruLion" einen rassistischen Text, um diese Toleranz auf die Probe zu stellen. Die Falle im oppositionellen Denken Ende der achtziger Jahre bestand darin, daß man die gesamte europäische Elite den Reihen der Verteidiger der Demokratie vor dem Totalitarismus zuschlug, deshalb erinnerte "bruLion" daran, daß man ein hervorragender Schriftsteller sein und sich gleichzeitig nach verstaatlichter Gewaltanwendung sehnen konnte.

Wie sah es mit dem Inhalt der folgenden Nummern aus? Nr. 16: Liberalisierung der Rauschmittelgesetze, das Communard-Lexikon von Flaubert, ein Aufruf zur Gründung einer Theologie des Sacrum (M. Tabor), ein Gespräch mit einem polnischen Pornostar, einen Text von Francis King über Magie, Interviews mit Politikern. In Nr. 17/18: rassistische Texte von Ezra Pound, Ansprachen von Himmler, ein Auszug aus dem Text
Esoterische Quellen des Nationalsozialismus von Mark Tabor, die Magie von King, und einen Text von MET, in dem die Verleihung des Kościelski-Preises an Bronisław Wildstein für den Roman Jak Woda (Wie Wasser) als Skandal bezeichnet wird. In Nr. 19: Feminismus, Magie und Sadomasochismus. Die kommentierte Bibliographie zu den Beiträgen in "bruLion" zeigt demnach folgendes: Es stimmt nicht, daß "bruLion" von der 13. Ausgabe an sich selbst kopierte; aber es stimmt, daß die Berücksichtigung aller Randgebiete der Kultur in der Grundkonzeption der Zeitschrift dazu geführt hat, daß sich "bruLion" die Möglichkeit versperrte, etwas Neues zu zeigen. Der Überraschungseffekt wurde damit geringer, die Konsequenz größer. Pragmatisch betrachtet jedoch brachte "bruLion" genau das zuwege, was die Redakteure beabsichtigt hatten: Die Zeitschrift wurde zum Sprachrohr eines Umbruchs, sie gab eine Strategie des Umbruchs vor - allerdings nicht im Rahmen eines Ideen-Programms, sondern eines bestimmten modus vivendi. Dann, nach der Nummer 17 gab es für sie nichts mehr zu entdecken.

Das ist also das kommunikative Erbe von "bruLion" - ein Erbe, das deutlich macht, wie eine Zeitschrift nicht nur eine Ebene zum Austausch von Ansichten, ein kultureller Salon sein kann, sondern ein Vieleck individueller Ausdrucksfomen, ein Raum, in dem eine schrankenlose Authentizität praktiziert wird, ein Selbst-Sein ohne den Druck der Verpflichtung, daß eine Person auf erwünschte oder befürwortete Verhaltensformen reduziert wird. Das aber ist bereits ein Programm.

III

Fast alle Kritiker, die über "bruLion" geschrieben haben, stellen fest, daß diese Zeitschrift im Grunde kein Programm, sondern eine Strategie hatte. Meiner Meinung nach trifft dies das Problem nicht ganz, denn die Strategie von "bruLion" verhalf einem Programm zur Entstehung, auch wenn man hinzufügen muß, daß die Entwicklung von der Strategie zum Programm den Reaktionen der Gegenseite zu verdanken ist.

Dieses Programm könnte man vielleicht als Projekt der maximalen Beteiligung an der Kultur bezeichnen. Im "Tygodnik Literacki" (Literarische Wochenschrift) stellen die Redakteure von "bruLion" fest: "Von den ersten Anfängen der Zeitschrift an haben wir darauf verzichtet, eine bestimmte Lebens- und Denkweise zu lancieren. Aus freiem Willen und ohne jeden Zwang (und im eigenen, von keinerlei Zwang genötigten Interesse) versuchen wir, solche Positionen zu präsentieren, die sich am schwierigsten definieren lassen, denn gerade in der Konfrontation extremer Vehaltensfomen tritt die Kompliziertheit des Verhältnisses zwischen Mensch und Welt am ausdrucksvollsten zutage."3 Man muß beachten, welche Unterscheidung diese Aussage enthält: Die Autoren führen hier - wenn auch ohne sich um Präzision zu kümmern, aber doch wichtig - eine Differenzierung zwischen "Lancieren" und "Präsentieren" ein, was sich als eine Differenzierung von "Befürwortung" und "Unparteilichkeit" verstehen läßt. Daneben äußern sie die Überzeugung, daß Extreme menschlicher Haltungen dem Ausdruck (nicht unbedingt der Wahrheit) der Beziehung des Menschen zur Welt förderlich sind. Warme, laue, vermittelnde Haltungen bieten keine Reibungs- und Konfliktpunkte. "Eine Konfrontation von Extremen, die sich nicht definieren lassen" - das heißt, das Extreme zu Wort kommen lassen, den Bereich der Kultur erweitern, die Authentizität durch die ihr gemäße Sprache präsentieren.

Zu einer solchen Deutung des Programms von "bruLion" als einem (keineswegs neuen!) Versuch, Authentizität und Kultur miteinander zu verbinden, geben auch Titel und Untertitel der Krakauer Zeitschrift Anlaß. "Brulion" (Schmierheft), das ist einerseits etwas ins Unreine Geschriebenes, aber auch etwas auf die Schnelle Geschriebenes, es ist Gekritzel, aber ein Gekritzel, das den Stempel der individuellen Handschrift wahrt, es ist ungeschliffenes Schreiben, ohne Verstellung und ohne Stilisierung, ohne daß dem Text eine spezielle Schönheit verliehen wird, es ist eine erste Version, aber auch eine Version, die unter dem Diktat von etwas Lebendigem entstanden ist, das sich im Fluß befindet und im Hier und Jetzt gehört und gesehen wird. Brulion steht damit im Gegensatz zu "Heften", zu "Literatur" oder "Buch", geschlossenen Formen, die kompositionell zu Ende geführt sind, die geschliffen und retuschiert sind. Brulion ist eine inoffizielle, nicht eine endgültige Form, die dafür aber privat und authentisch ist. Ab der 19. Nummer kam noch der Untertitel "Pismo Nosem" hinzu - Nasenschrift . Das ist natürlich ein Scherz, ein Sprachwitz, der jeden in die Falle lockt, der im Untertitel einer Zeitschrift eine konkrete Aussage sucht. Es ist ein Wortspiel, das von Humor zeugt, von Trotz und einer Unabhängigkeit gegenüber sprachlicher und redaktioneller Gravität. Aber es bedeutet auch etwas. Denn "Nasenschrift" ist: 1) eine Zeitschrift, die mit Gespür gemacht wird, in der die Intuition überwiegt, nicht Programm oder Berechnung, in der man der Stimme der Einfühlung folgt. 2) "Man folgt der Schrift mit der Nase", man wittert Gefahr, aber man "tanzt auch auf der Nase herum", macht sich über jemanden lustig, spottet und mißachtet. 3) Eine Zeitschrift, für die man "auf der Nase liegt", mit der man sich abplagt, die mit großem Arbeitsaufwand hergestellt wird, die also buchstäblich mit dem Körper und damit auch mit der Nase gemacht wird. In diesem einen Wort ist demnach viel von dem Programm und der Strategie enthalten.

Dieses Programm - die maximale Beteiligung an der Kultur - bedeutete vor allem, daß aus der Underground-Kultur zahlreiche ästhetische Erfahrungen, Erlebnisse, Praktiken und Verhaltensweisen eingeführt wurden, die gemeinhin für inferior, schlechter, unkultiviert, arm an Werten oder wertlos, manchmal rundheraus abstoßend und schändlich gehalten wurden. All das erschien in "bruLion": Rock, Pornographie, Rauschmittel, Rassismus, Okkultismus, Magie, Homosexualität, andersartige Bewußtseinszustände, Cyberpunk. "bruLion" stellte sie jedoch nicht deshalb vor, um zu schockieren und sich mit Skandalen bei einer neuen Epoche einzuschmeicheln, sondern um diesen Phänomenen das Recht auf einen gleichen Anteil an der Kultur zu geben wie allen anderen Aktivitäten auch: dem Schreiben von Dichtung oder Prosa, dem Lesen von Klassikern oder dem Duschen.4 Die Erweiterung des Themenbereiches beruhte damit nicht auf der Besprechung dieser Erscheinungen als Marginalien, sondern darauf, kulturelle Randerscheinungen einzubeziehen und sie unter dem weltanschaulichen Schirm eines neuen - in wesentlichen von New Age bestimmten Paradigma in den Mittelpunkt zu rücken.5 Man bekannte eine Wahrheit, verlieh authentischen Erfahrungen eine Stimme, die im Leben dieser Dreißigjährigen einen wichtigen Platz einnahmen.

Wer hat dieses Erbe, die Kultur als Raum gleichberechtigter idiomatischer Ausdrucksformen zu verstehen, aufgegriffen? Niemand. Und zwar aus einem einfachen Grund: Das Programm einer maximalen Beteiligung an der Kultur läßt sich heute nicht mehr aufrecht erhalten, weil es zu einer allgemeinen Erscheinung geworden ist, es ist ein vollendeter Prozeß, nach der Wende schlicht eine Tatsache. Ein weiteres Mal hat sich gezeigt, daß die Kultur ein Allesfresser ist, daß sie selbst das, was gegen sie gerichtet ist, so wenden kann, daß es zu ihrem Nutzen ist, daß sie jede Ausdrucksform zu einem Thema machen kann.6

IV

Auch aus anderen Gründen läßt sich das strategische Erbe von "bruLion" nicht aufgreifen.

Ganz allgemein gesprochen hat "bruLion" eine Strategie entwickelt, die der Neudefinition einer Beteiligung an der Kultur diente. Diese beruhte darauf, daß man deutlich machte, daß alle Aktivitäten zur Kultur werden bzw. ihren Wert haben, und daß dieser Wert in bezug auf jeden von uns definiert werden muß. Natürlich ging das mit einem Relativismus, ja sogar mit einem Immoralismus einher, mit einer Aufhebung aller ethischen Maßstäbe, denn zum einzigen Kriterium zur Bewertung von Erfahrungen wurden Ganzheit, Extrem, Authentizität.

Die grundlegenden Elemente und Praktiken der Strategie von "bruLion" sind demnach:
- Der Skandal der darauf beruht, daß existierende Semantiken aufeinanderprallen, oder bis zu Paroxysmus und Selbstkompromittierung getrieben werden (z.B. die Verurteilung von Graffiti mittels der kommunistischen Sprache);
- provozierte und aufrechterhaltene Vieldeutigkeit;
- die gleichzeitige Äußerung widersprüchlicher Urteile und Durchführung widersprüchlicher Aktionen;7
- die Veröffentlichung extremer und unmotivierter Äußerungen ohne redaktionellen Kommentar;8
- die Entwicklung neuer Regeln zur Verständigung, die darauf abzielen, traditionelle Vorurteile bewußt zu machen und zu beseitigen.9
Diese "Kommunikation ohne Vorurteile" ließ sich natürlich (und wohl auch zum Glück) nicht herbeiführen, obwohl das laute Echo deutlich machte, daß Sehnsüchte dieser Art bei den Lesern ziemlich verbreitet waren. Sie resultierten aus dem Wunsch, der Kultur ein so wesentliches Element wie die Freiheit zurückzugeben. Im Rahmen der neuen Verständigungsregeln nämlich sah sich der Leser mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Entscheidung über die Aussage eines Textes, seinen Wert und seinen Grad von Echtheit auf eigene Verantwortung zu treffen.

Das wichtigste Element der gewählten Strategie aber war der Nonkonformismus. Es war das wichtigste Element, das allerdings auch am schnellsten einer Historisierung unterworfen war und zwar in zweifachem Sinn. Der Nonkonformismus von "bruLion" beruhte darauf, einer Teilnahme an dem Spielchen "Wir machen eine kulturelle Zeitschift" eine Absage zu erteilen - ein Spielchen, das langweilig ist, wenn es ungefährlich ist. Diese Absage fand ihren Ausdruck in der Verweigerung von Cliquenwesen, in der Infragestellung von Autoritäten, dem Mut, problematische Dinge zu sagen, in der unverhüllten Offenlegung der eigenen Sprache. Die erwähnte Historisierung bestan darin, daß sich der Nonkonformismus verfestigte und stabilisierte, daß er konventionell wurde (wenn auch nicht vom Standpunkt des Programms aus), daß er seine Rezipienten abstumpfte und die Leser zu Sensationsfängern machte. Das war teilweise das Ergebnis der Behandlung des Nonkonformismus als Medienskandal, ein Irrtum, den sich "bruLion" erarbeitet und in gewissem Maße sogar verdient hatte.10 Die andere Bedeutung der Historisierung liegt darin, daß Nonkonformismus Ende der achtziger Jahre etwas anderes bedeutete als heute. Damals fand er seinen Ausdruck in dem Mut "den eigenen Weg zur Wirklichkeit" zu entdecken, die eigenen "Alternativen" zu suchen, in einem Streit zwischen zwei Seiten die dritte Seite zu finden. Heute hat es den Anschein, daß Nonkonformismus genau auf dem Gegenteil beruht: In einer pluralistischen, toleranten, offenen Gesellschaft muß man den Mut haben, sich auf eine Definition einzulassen, auf eine politische oder religiöse Meinungserklärung, darauf, daß man sein eigenes Zentrum findet.

Und aus genau diesem Grund eignet sich das strategische Erbe - in dem man sich der vielen Sprachen kultureller Erfahrungen von Randgruppen bediente - heute nicht mehr dazu, aufgegriffen zu werden. Denn die Randerscheinungen sind ins Zentrum gerückt, die Opposition zu ihnen ist - zeitweilig? - aufgehoben. Es ist unmöglich geworden, sich einer Sprache zu bedienen, die Ganzheit verlangt.

Aus dem Polnischen von Esther Kinsky

Anmerkungen
1. In Nr. 13 von "bL" rezensiert Marta Wyka bezeichnenderweise Literatura polska po 1939 roku. Przewodnik encyklopedyczny (Warszawa 1989, Polnische Literatur nach 1939. Enzyklopädischer Führer. Red. M. Witkowicz). Sie stellt fest, daß das Wunschdenken die Analyse überwiegt, und schließt mit der Bemerkung: "auf daß wir kein vom Wunsch bestimmtes Abbild schaffen und dabei die Realität, wie auch immer sie geartet sein mag, außer acht lassen." (Projekt literatury współczesnej [Projekt zeitgenössische Literatur]. "bruLion" 1990, Nr. 13).
2. "Dank der Provokationen haben sie nicht nur auf sich aufmerksam gemacht [...], sondern zum Teil sich auch eine eigene Identität geschaffen. Die Demaskierung des potemkinschen Charakters der Opposition, die Ablehnung der verlogenen Illusionen von einer im Widerstand verharrenden Gesellschaft, bestimmte den Ton vieler Texte in den ersten Nummern. Damit gingen zahlreiche kleine Boshaftigkeiten einher, die gegen die Salons der Opposition und den selektiven Moralismus der gesellschaftlichen Autoritäten gerichtet waren." (A. Horubala: "bruLionu" przygoda z wolnością [Das Abenteuer der Zeitschrift "bruLion" mit der Freiheit]. "Znak" 1991, Nr. 4).
3. Dwa intelektualizmy [Zwei Intellektualismen]. [In der Rubrik Leserbriefe, unterschrieben von: J. Baran, W. Bockenheim, K. Koehler, R. Tekieli] "Tygodnik Literacki" 1990, Nr. 12.
4. Kinga Dunin faßt es unter dem rein erkenntnisorientierten Aspekt zusammen (Przyszli barbarzyńcy [Die Barbaren sind angekommen]. "ExLibris" 1995, Nr. 69).
5. In dem Text Podziemie w defensywie (Der Untergrund in der Defensive) ("bL" 1988, Nr. 7/8), der die Sterilität, mangelnde Authentizität und Heuchelei der unabhängigen Zeitschriften behandelt und daneben für Zeitschriften aus dem "dritten Umlauf" wirbt, findet sich der bezeichnende Ausruf: "Randerscheinungen aller Länder, vereinigt euch!" (S. 212).
6. Vgl die Nummer von "NaGłos" (1996, Nr. 24), die der Rockkultur gewidmet ist, aber auch "Znak" (1996, Nr. 5) mit Materialien zum Thema "Ritual und Authentizität".
7. In der normalen Sprache nennt man das Zynismus oder Schweinerei, aber einige Kritker, angesteckt vom Pluralismus der Zeitschift "bruLion", bezeichneten es als die neue Freiheit" - siehe Krzysztof Varga: Spisek barbarzyńskich przedszkolaków (Die Verschwörung der barbarischen Vorschulkinder). "Gazeta o Książkach" 1995, Nr. 2.
8. Vgl. A. Horubała, op. cit.: "Durch die programmatische Verweigerung einer Interpretation oder Bewertung der gebrachten Texte ließ sich der geistige Umbruch, der sich in den letzten Jahren vollzogen hat, registrieren, die Krise der hierarchischen Kultur trat zutage, und die verschiedenen Angebote ließen sich aufführen, die für eine Welt typisch sind, in der sich die Autoritäten überlebt haben."
9. A. Horubała: "Die Schocktherapie, der Angriff auf die Lesergewohnteiten [...] sollte eine neue Subjektivität des Menschen schaffen."
10. Vgl. J. Kornhauser: Barbarzyńcy i wypełniacze [Barbaren und Vollstrecker]. "Tygodnik Powszechny" 1995, Nr. 3.

aczap

Przemysław Czapliński - geb. 1962. Literaturkritiker und -historiker. Polonistikstudium an der Mickiewicz-Universität in Posen. Veröffentlichte Abhandlungen: Poetyka manifestu (Poetik des Manifests), Warszawa 1997; Ślady przełomu. O prozie polskiej 1976-1996 (Die Spuren des Umbruchs. Über die polnische Prosa 1976-1996), Kraków 1997; und eine monographische Skizze Tadeusz Konwicki (Poznań 1994). Dozent am Institut für Polonistik der Mickiewicz-Universität. Publikationen in Fach- und Literaturzeitschriften sowie in der Tagespresse. Beschäftigt sich vor allem mit der polnischen Prosa der Nachkriegszeit. Als Kritiker gewann er schnell den Ruf eines der interessantesten und gründlichsten Rezensenten von Neuerscheinungen in der Prosa. Das Buch Ślady przełomu (Die Spuren des Umbruchs) gilt mit Recht als die kompetenteste Beschreibung der Veränderungen in der polnischen Prosa der letzten 20 Jahre.

Die literarische Vierteljahreszeitschrift "FA-art" wurde 1988 von einer Studentengruppe gegründet, die mit dem schlesischen Kreis der pazifistischen Bewegung Wolność i Pokój (Freiheit und Frieden) verbunden war. Anfangs erschien die Zeitschrift im sog. zweiten Umlauf, d.h. außerhalb der Zensur. Ein Jahr später übernahm Cezary Konrad Kęder die Redaktion und die Titelrechte. Er gab der Zeitschrift ihre eindeutig literarische Richtung, auch wenn Literatur schon im ersten Heft ein wichtiges Thema war.
    Der Systemwechsel in Polen, der mit den Wahlen vom 4. Juni 1989 einsetzte, war für das literarische Leben von großer Bedeutung. Die Aufhebung der Zensur, Änderungen der Rechtslage, die Unbeweglichkeit staatlicher Verlage, die auf einmal ihrer Subventionen beraubt waren, der Untergang des Monopolisten im Buchvertrieb, das Ende vieler staatlich subventionierter Zeitschriften - all das förderte die Entstehung neuer literarischer Institutionen. Um so mehr, als es nur wenige der Verlage und Zeitschriften, die mit der Opposition der achtziger Jahre verbunden waren, schafften, sich unter den neuen Bedingungen institutionell anzupassen. Am besten kamen die Neulinge zurecht, die im ganzen Land Zeitschriften ins Leben riefen und dabei häufig von den lokalen Behörden finanziell unterstützt wurden. Eine wichtige Rolle spielte auch die stereotype Erwartung, daß die gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen auch Veränderungen des literarischen und künstlerischen Lebens begünstigen würden. Sowohl die Kritik als auch das Publikum zeigte Interesse an den Debütanten, und suchte bei ihnen den Beleg für die Wende in der Literatur, die wiederum eine Bestätigung für die politische Zäsur sein sollte.
    Die wichtigste Rolle in der jüngsten polnischen Literatur spielten die generationsspezifischen Zeitschriften, die bereits Mitte der achtziger Jahre entstanden waren und schon bald ihr jeweils eigenes Profil entwickelten, auch wenn sie damals noch im zweiten Umlauf erschienen ("bruLion" aus Krakau und - weniger ausgeprägt - "Czas Kultury" aus Posen). "FA-art" war zu diesem Zeitpunkt nur eine von den vielen studentischen Literaturzeitschriften mit einem nicht allzu großen Wirkungskreis. Bis 1992 gelang es, gerade fünf bescheidene Nummern mit literarischen bzw. kritischen Texten herauszugeben. Finanziert wurden sie überwiegend von den Redakteuren selbst. Aber gerade in diesen Jahren bildete sich das Redaktionsteam und das Programm der Zeitschrift heraus. Seit 1992 erscheint "FA-art" nun regelmäßig.
    Das erste Heft, das auf größeres Interesse stieß, war wohl die Doppelnummer 2/3 von 1993 (12/13). Außer Cezary K. Kęder waren damals in der Redaktion: Marcin Herich, Stanisław Mutz und Krzysztof Uniłowski. Zu den engsten Mitarbeitern gehörten Piotr Czakański-Sporek und Dariusz Nowacki. "FA-art" betonte seine Besonderheit durch einen spezifischen Programmcharakter. Sehr schnell wurde bemerkt, daß es unter all den neuen Literaturzeitschriften, die Zeitschrift mit dem deutlichsten und konsequentesten Profil war, und das, obwohl die Redaktion nie ein Programm oder Manifest sensu stricto vorgestellt hat. Das war auch überhaupt nicht nötig! Das "Programm" war ein Ergebnis des Treffens einer Gruppe von Debütanten, die sich hervorragend verstanden. Es verbanden sie Sympathie und Interesse und sie ergänzten sich gegenseitig hervorragend.
    Eine Eigenheit der Zeitschrift war die starke Akzentuierung der Literaturkritik. Das war kein Zufall. Die Verbindungen zur Polonistik an der Schlesischen Universität waren immer sehr stark, wenn auch nie formaler Natur. Während die jungliterarische Kritik (wir nennen sie "jungliterarisch", wobei man unbedingt hinzufügen muß, daß es in den neunziger Jahren in Polen gar keine andere gab) durch eine personenbezogene Einstellung geprägt war, und ihr Diskurs in der Regel einen impressiven und intimen Charakter besaß, schlug "FA-art" die analytische Option vor, indem sie die Tradition des Strukturalismus mit den postmodernistischen Sympathien in Einklang zu bringen suchte. Auch das war etwas Neues. Die Postmoderne wurde in Polen erst in den neunziger Jahren zum Thema. In der Regel jedoch - sagen wir es euphemistisch - war man weder dem Begriff noch der Erscheinung selbst zugeneigt.     In der Symphatie für den Postmodernismus glaubt man gewöhnlich die eigentliche Besonderheit der Zeitschrift zu finden. Man muß klar sagen, daß dies keine zufällige Wahl oder gar Mode war (zur Mode wurde in Polen dagegen die Kritik am Postmodernismus - am häufigsten in feuilletonistischer Manier betrieben). Schlesien war höchstwahrscheinlich die einzige Region in Polen, wo eine Zeitschrift wie "FA-art" entstehen konnte. Schlesien hat selbst keine größeren literarischen Traditionen und bildet - infolge der langjährigen Innenmigrationen - in gesellschaftlich-kultureller Hinsicht einen spezifischen, inkohärenten Wirrwarr, in wirtschaftlicher Hinsicht aber wurde es für die Moderne… zum Denkmal. Schlesien hat auch eine administrative Eigenheit - die Grenzen zwischen den Städten sind gänzlich verwischt, sogar Kattowitz läßt sich schwer als kulturell-wirtschaftliches Zentrum der Region bezeichnen und ließe sich vortrefflich mit der Wurzelstock-Metapher beschreiben. An Paradoxen mangelt es hier nicht: Den heute wirtschaftlich und kulturell integralen Teil von Schlesien bildet das Dąbrowskie-Becken, das einmal zum russischen Teilungsgebiet gehört hat und seine eigene kulturelle Spezifik sowie andere politische Traditionen besitzt. "FA-art" konnte zwischen einer regionalistischen und einer postmodernistischen Option wählen. Es sollte nicht verwundern, daß die Entscheidung intuitiv auf die zweite fiel, da es in der Sprache (im Polnischen oder in der Mundart) nicht einmal ein Wort gibt, mit dem die Identität der Mehrheit der Redaktionsmitglieder bezeichnet werden könnte. Wir sind keine Schlesier, aber wir sind auch keine Zugezogenen, keine "gorole" - wie die Schlesier die zugewanderte Bevölkerung nennen.
    Währenddessen erfreut sich im literarischen Leben Polens der neunziger Jahre aber gerade der Regionalismus einer besonderen Gunst - in der Regel handelt es sich dabei um einen proeuropäischen Regionalismus (dieVision von einem Europa der Heimatländer), der die Vorteile der Vielfältigkeit betont, und den Dialog der Kulturen und lokalen Traditionen befürwortet. Wenn "FA-art" dieser Option in gewissem Sinne polemisch gegenübersteht, dann liegt das am kritischen Verhältnis zum Begriff der Identität, die eine metaphysische Beziehung zwischen dem "Ich" und dem Sein, sowie dem Sein, dem Ort und der Wahrheit herstellt. Daher stehen wir der sog. "Heimatliteratur", die nach Meinung vieler Kritiker die bedeutendste literarische Strömung in der polnischen Literatur der neunziger Jahre darstellt, skeptisch gegenüber.
    Um die Mitte der siebziger Jahre machte sich im polnischen literarischen Leben eine Abkehr von den neuen (neoavangardistischen) Tendenzen bemerkbar. Das Ansehen solcher Dichter wie Czesław Miłosz, Zbigniew Herbert oder Tadeusz Konwicki wuchs auf Kosten der Popularität von Autoren wie z.B. Tadeusz Różewicz. Im Fieber der politisch-kulturellen Debatten der achtziger Jahre wurden Schriftsteller mit innovatorischen Ambitionen ziemlich abwertend als "Soz-Parnassianer" bezeichnet. Niemand stellte ihren künstlerischen oder intellektuellen Rang in Frage, sie wurden jedoch als veraltet verworfen und in die Literaturgeschichtsbücher verbannt. Die Debütanten der neunziger Jahre, die generell das im Jahrzehnt zuvor geltende Verständnis von dem, was Literatur zu leisten habe, ablehnten, suchten ihre Meister und Schutzherren unter den fremden Schriftstellern (wie z.B. Lyriker der New Yorker Schule, vor allem Frank O’Hara). Wir erinnerten in unserer Zeitschrift dagegen an die Leistungen der größten Vertreter der polnischen neoavangardistischen Literatur - an Tymoteusz Karpowicz, Witold Wirpsza, Miron Białoszewski, Teodor Parnicki… Wenn man in der Geschichte der polnischen Literatur weitergeht, stellen sich die meisten meiner Zeitgenossen an die Seite von Bruno Schulz (Renaissance der mythographischen Prosa), wir dagegen - an die Seite von Witold Gombrowicz. Die Literaturkritik nahm die Debüts der siebziger und achtziger Jahre, deren Autoren sich bemühten, avangardistische literarische Strategien zu entwickeln, sehr ungnädig auf. Diese Wertung aus der gar nicht fernen Vergangenheit wurde von unseren Zeitgenossen in der Regel übernommen. Umso mehr, als es dadurch leichter ist, sich selbst als etwas ganz Besonderes darzustellen. Und wieder, "FA-art" erinnert gerne an die damaligen Werke (von denen manche schon postmoderne Züge tragen), ohne den allgemeinen - vorgetäuschten oder echten - Gedächtnisschwund hinsichtlich der jüngsten Literatur zu akzeptieren, und ohne sich mit der großen These von dem "schwarzen Loch in der polnischen Prosa der achtziger Jahre" einverstanden zu erklären.
    Es sollte also nicht verwundern, daß die Zeitschrift - obwohl sie mit ihrer Geschichte selbst zum Phänomen der 60er-Generation gehört - den Leistungen ihrer Altersgenossen gegenüber eine kritische Distanz wahrt. In unseren Spalten haben wir mit der These einer ästhetischen Zäsur des Jahres 1989 polemisiert. Genauso stellten wir auch die Überzeugung in Frage, die "Jungen" unterschieden sich von ihren Vorgängern, indem sie neue Qualitäten anbieten oder neue literarische Erscheinungen anregen würden.
    Es war das große Glück von "FA-art", daß sich unter den Redakteuren und Mitarbeitern der Zeitschrift auch ein paar begabte Kritiker befanden. Sie wußten die neuen methodologischen Impulse zu nutzen, und für einen erkennbar eigenen Stil und unabhängige Urteile in ihren Texten zu sorgen. Parallel zum Auftritt der Debütanten in den neunziger Jahren gab es glücklicherweise eine interessante Bewegung in der Literaturkritik. "FA-art" spielte dabei eine beachtliche Rolle und zog im Laufe der Zeit auch Autoren an sich, die sonst mit anderen Titeln und anderen Kreisen verbunden waren; und zwar sowohl Kritiker als auch Lyriker oder Prosaiker.
    Die vorliegende Ausgabe unserer Vierteljahreszeitschrift bringt eine Auswahl der literarischen und literaturkritischen Texte, die zum großen Teil schon einmal bei uns publiziert wurden. Einer möglichst großen Verständlichkeit zuliebe, haben wir sie z.T. etwas gekürzt. "FA-art" hat den Ruf, eine ehrgeizige und schwierige Zeitschrift zu sein. 1996 verglich Arkadiusz Bagłajewski, Chefredakteur der Lubliner Vierteljahreszeitschrift "Kresy", unsere Zeitschrift mit der angesehenen, literaturwissenschaftlichen Fachzeitschrift "Teksty Drugie", die vom Institut für Literaturwissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. Nun, wenn in dem Vergleich ein bißchen Wahrheit steckt, ist das für uns ein Kompliment. Man muß auch gleich hinzufügen, daß ein Vergleich mit den "jungliterarischen" Zeitschriften, die dem Ethos und der Poetik der art-zin entstammen, ebenfalls möglich wäre. Allem Anschein zum Trotz kann man - so hoffen wir - das Akademische mit der Gegenkultur verbinden. In Zeiten der Massenkultur ist so eine Verbindung vielleicht sogar ganz natürlich.
    Ist "FA-art" eine schwierige Zeitschrift? Nein, wir betreiben keine l’art pour l‘art - das, was Kritiker der Zeitschrift als elitäre Züge einstufen, ist schlicht das Ergebnis einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den besprochenen Problemen und kommentierten Büchern, resultiert aus dem Mißtrauen und Widerwillen gegen triviale, publizistische Vereinfachungen. Dabei vergessen wir nicht, daß die Literatur und das Schreiben über die Literatur auch eine Unterhaltungsfunktion haben.
    Das Heft, das Sie in Händen halten, wurde so vorbereitet, daß es in seinem literarischen und kritischen Charakter, in seiner Redaktion und graphischen Gestaltung das Profil unserer Zeitung widerspiegelt. Zugleich wollten wir die nach unserer Meinung wichtigen literarischen Erscheinungen und Debatten der letzten Jahre vorstellen. Aus diesem Grund drucken wir in einigen Fällen (mit der freundlichen Erlaubnis unserer Freunde und Mitarbeiter) Texte, die zuvor in anderen Zeitschriften erschienen sind.
    Außerdem stellen wir einige Prosatexte in Auszügen vor, die entweder von unserer Zeitschrift veröffentlicht oder dort ausführlich besprochen und empfohlen wurden. Wir hoffen, daß diese Publikation dazu beiträgt, das Bild von der jüngsten polnischen Literatur zu vervollständigen, und es den interessierten Lesern ermöglicht, Einblicke in Charakter und Klima des polnischen literarischen Lebens zu gewinnen.
Czytany 14669 razy Ostatnio zmieniany niedziela, 18 październik 2015 21:14

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