środa, 07 październik 1998 20:30

Kein Reim ohne Feue

Napisane przez Grzegorz Olszański
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Wie es sich für den - natürlich nur im literarischen Sinne - fruchtbarsten Dichter seiner Generation gehört, erschien bald darauf der Gedichtband W lunaparkach (In den Vergnügungsparks) und einige Monate später Arytmia (Arythmie), ein Buch, das in gewisser Hinsicht einen Umbruch darstellte.


1. Zündstoff - Pflasterstein, Axt, Daune
"Weg und Reise sind Schlüsselbegriffe in der poetischen Sprache von Jacek Podsiadło", schrieb M. Urbankowski im "Tygodnik Powszechny" (1993, Nr 28), als er den ersten "offziellen" Band Wybór wierszy 1985-90 (Ausgewählte Gedichte) rezensierte, der gleichzeitig eine Auswahl aus verschiedenen, bereits früher vom Autor im Selbstverlag herausgegebenen Gedichten bildet. Wie es sich für den - natürlich nur im literarischen Sinne - fruchtbarsten Dichter seiner Generation gehört, erschien bald darauf der Gedichtband W lunaparkach (In den Vergnügungsparks) und einige Monate später Arytmia (Arythmie), ein Buch, das in gewisser Hinsicht einen Umbruch darstellte.

Worauf genau dieser Umbruch beruhte, hat bis heute niemand genau definiert; wichtig war nur, daß Podsiadło, der zuvor immer in derselben Sprache und im Grunde über dieselben Themen geschrieben hatte, plötzlich begann anders zu schreiben, oder zumindest wurde er anders gedeutet. Eine (wenn auch vielleicht außerliterarische) Erklärung bieten in gewissem Sinne der letzte Satz aus diesem Buch: "Ich habe neunundzwanzig Schatten von neunundzwanzig Sonnen", und aus dem letzten Band Języki ognia (Feuerzungen) ein Gedicht unter dem Titel Trelinka, siekiera, puch (Pflasterstein, Axt, Daune) wo wir lesen:

Ich habe meine Empfindsamkeit wohl nicht verloren.
Einst zerstückelt, ist sie jetzt vereint [...]
Ich bin jetzt beherrscht wie eine befestigte Burg,
Ausgeglichen wie [...]"

Also ganz gewöhnliche (?) menschliche Reife? Anscheinand ja - aber auf solche Überlegungen wollen wir bei anderer Gelegenheit eingehen. Artymia macht auch deutlich, daß diese beiden Schlüsselbegriffe "Weg" und "Reise" nicht mehr ganz zu dieser Burg und zu diesem Menschen passen. Aus dem Munde eines Globetrotters, eines ewigen Wanderers können die Worte: "Schon zwei Jahre wohne ich in diesem Haus / Mit geschlossenen Augen fände ich mit dem Schlüssel das Loch" ein berechtigtes Erstaunen hervorrufen. Züge, die sich früher an seinen Geruch gewöhnten, fahren jetzt an ihm vorbei (A obok mnie jeżdżą pociągi [Und neben mir fahren die Züge vorbei]), Reisen machen ihn jetzt müde (Męczą mnie podóże [Reisen ermüden mich]), und die Autobahnen, auf denen er einst mit Sonne beladene Lastwagen stoppte, haben vielleicht nicht aufgehört ihn zu lieben, aber in jedem Fall sehen sie ihn nicht mehr.

Das Jahr 1994 bescherte zwei Gedichtbände von Jacek, davon einen, in dem diese beiden Wörter wieder aktuell und lebendig sind und sogar so etwas wie eine Dominante des Buches ausmachen (selbst wenn wir nicht übersehen dürfen, daß zwei Schlüsselgedichte aus diesem Band, Udomowienie [Domestizierung] und Cisza morska [Meeresstille] auf etwas anderes verweisen). Dieser Band eignet sich, in den Rucksack gepackt, mit auf Reisen (z.B. "auf den Spuren berühmter Kugelschreiber") mitgenommen zu werden, was Podsiadło in gewisser Weise erleichtert, wenn er über Czulni, über den Fluß San, in dem er watet, über Teleśnica, Olita oder Wilna schreibt. Überall dort können wir - die Warnung des Augenarztes in den Wind schlagend - an einem echten Feuer sitzen und die Lektüre genießen können (denn sie gibt was her).

2. Erste Lichtung, erster Scheit
So machen wir uns nach einer einbändigen Pause zusammen mit dem lyrischen Subjekt von Języki ognia auf den Weg, auf eine einundsiebzig Seiten lange Reise nicht nur durch Polen. (Anfangs hatte ich allerdings Schwierigkeiten mit dem ungewöhnlichen Schaffner, denn mit einer solchen Episode fängt das erste Gedicht, Ognisko domowe [Heimischer Herd] an.)

Zuerst, es ist noch Sommer 1988 (die Gedichte sind in chronologischer Reihenfolge vom 16.09.88 bis zum 16.08.94. angeordnet) wandern wir über die Berge, dann gleich zweimal durchs Seengebiet, schließlich sind wir in Wilna und an der polnischen Küste, in Łeba. Generell ist es aber nicht von großer Bedeutung, wo wir sind oder wo sich das lyrische Subjekt gerade befindet - die Sprache (gelegentlich tatsächlich feurig), die Methode der Wirklichkeitsbeschreibung ist immer gleich, und zwar im Sinne des Satzes aus dem Gedicht Teraz, kiedy zmrok każe nam zapalać latarnie (Jetzt, da der Dämmer uns die Laternen anzünden heißt):

...mein Gedanke durchdringt im Wunsch sie zu umfassen alle Dinge zugleich,
die Sprache müßte sich der Reihe nach mit jedem einzelnen befassen.

Und genau so geschieht es - Podsiadło befaßt sich der Reihe nach mit fast jedem Ding; deshalb auch diese ungeheur detaillierten Beschreibungen (die einem auch auf die Nerven gehen können), mit Fragmenten, die eher an Prosa erinnern, (z.B. der Ausschnitt aus einer Filmbeschreibung in Sprzyjająca aura [Günstige Aura]), als an einen traditionellen Vers. Sie haben eine fast greifbare Wortdichte (ein aufgeschnappter Satz aus einem Gespräch zweier Dichter: "Weißt du, in deinen Gedichten sind zu viele Buchstaben"), mit Bildern von Bergen, Wäldern, Seen, Ameisenhaufen, einer verendeten Maus, "die sich in etwas anderes verwandelt". Ähnlich verhält es sich mit der Beschreibung von Tätigkeiten, ganz gleich, ob es sich ums Feuermachen, Teekochen oder den Spaziergang "weil man mal muß" handelt.

Auf Schritt und Tritt ändert sich die Perspektive, aus der beobachtet wird. Einmal ist es ein Mikrokosmos: die Welt einer Hummel, die "auf der Spitze eines Halms schaukelt", die Augen einer aus dem Tee gefischten Fliege (in die das Subjekt blickt), dann wieder ist die Sichtweise geradezu kosmologisch: der Himmel, ein gewaltiges Atomkraftwerk mit vier Reaktoren, oder die ganze Welt. Die Wirklichkeit ist hier brandaktuell wiedergegeben (schließlich handelt es sich ja um Języki ognia - Feuerzungen), ein Bild wird einer sofortigen Beschreibung unterworfen, ohne daß Einzelheiten ausgewählt werden (diesen Eindruck hat man zumindest). Es wirkt ähnlich wie eine Fotografie oder ein Film, der vor einem abrollt (das betrifft inbesondere die beiden Gedichte Ognisko domowe und Sprzyjająca aura). Andererseits taucht eine in Podsiadłos so emotionaler Lyrik neue Erscheinung auf, die sich meiner Meinung nach schon in dem Gedicht Zdania, fale (Sätze, Wellen) aus Arytmia ankündigt: Bildergedichte, fast ohne jede Emotionalität, wie aus einem größeren Kontext gelöst, der nicht mehr verpflichtend (Podsiadłos Version des Imaginismus?) und notwendig ist. Ich denke dabei an Gedichte wie Lato (Sommer) oder Zdania, lekkie uderzenia zdań (Sätze, der leichte Pulsschlag der Sätze), aus dem das folgende Zitat stammt:

Das Feuer frißt den Scheit von einem Ende an.
Die Welt wird still. Eine erste Grille im Gras
Nimmt und wetzt ihr Instrument.
Die Sätze kommen mir langsam.

Vielleicht ist diese neue Form die Konsequenz einer Einstellung, die der erste Satz aus Sprzyjająca aura verdeutlicht: "Ich habe der Welt immer weniger zu sagen". Betrachte ich aber andererseits die Fortsetzung dieses Gedicht-Poems, das sich kleingdruckt über mehrere Seiten zieht, wage ich, das zu bezweifeln. Man wird sehen. (Wenn es tatsächlich so sein sollte, dann wäre der im vorigen Band zweimal erwähnte Name von Robert Bly, immerhin dem Schöpfer des "deep image", von Bedeutung).

2a. Das Feuer schüren, die Zunge herausstrecken
Als Folge dieser Detailbesessenheit und Genauigkeit der Beschreibung gibt es weder eine Auswahl noch eine Hierarchie der beschriebenen Realität - ganz im Sinne eines spezifischen Relativismus: Nichts ist wichtig, alles ist gleich wichtig. Warum? Hier zeigt sich denn wohl der Kern von Podsiadłos Weltanschauung, das Sacrum, das in einem Pantheismus und einer franziskanischen Haltung ihren Ausdruck findet. Darum geht es bereits in dem ersten Gedicht Ognisko domowe, wo das Haus tatsächlich zur ganzen Welt wird und sich höchstens eine Lichtung möblieren läßt. Man braucht nur das Gedicht 100 pomysłów na Boga w domu (100 Ideen für Gott im Haus) zu lesen, um sich davon zu überzeugen. Karol Maliszewski geht in seiner Rezension ("Nowy Nurt" 1995, Nr. 5) auch darauf ein, deshalb will ich das hier nicht weiter wiederholen.

2b. Feurige Gewehre, ausgefranste Zunge
Zum Sacrum gehören selbstverständlich auch Liebe und Tod (Rilke?). Über die Liebe in Jaceks Gedichten ist viel geschrieben worden, weshalb ich mich hier nur auf ein paar grundsätzliche Bemerkungen beschränke. Die Liebe war für Podsiadło immer eine Art Rauschmittel, ein Motor, der das Schreiben antrieb, der Stoff vieler Gedichte. Doch bei einer Gegenüberstellung von Arytmia und Języki ognia stellt man gleich fest, daß diese beiden Bände in der Betrachtung dessen, was (z. B. unter dem Einfluß der Zeit) mit diesem Phänomen geschieht, sich diametral voneinander unterscheiden. Arytmia ist, zumindest in den ersten Gedichten (Noc nr 40 [Nacht Nr 40], Dzień nr 102 [Tag Nr 102]), für jeden offensichtlich, von gewöhnlichem (?) Schmerz und Leid einfach durchtränkt.

In Języki ognia haben wir drei Frauen (Grażyna, Anna-Maria, Lidka, die ähnlich wie die Gedichte in einer chronologischen Abfolge "stehen"), doch der "Übergang" von der ersten zur zweiten und von der zweiten zur dritten verläuft im Grunde unmerklich, und wenn sich nicht die Namen änderten, würden wir diese Veränderungen überhaupt nicht merken (wie unser Held sagt: "Es gibt nur eine Liebe" - womit er wohl Bob Marley zitiert). Dieser Stand der Dinge wird akzeptiert (Teraz, kiedy uczucia zostały posegregowane [Jetzt, da die Gefühle sortiert sind]), es ist eine Akzeptanz der unvermeidlichen Veränderungen, dessen, mit dem die meisten von uns sich nicht versöhnen können. Das Feuer hat sich als reinigend erwiesen.

Ähnlich verhält es sich mit einer anderen Erscheinung, die in Podsiadłos Gedichten immer häufiger als Motiv auftaucht. Das ist natürlich der Tod. Ich muß zugeben, daß mich dieses Motiv gleichzeitig anzieht und überrascht, schon allein deshalb, weil der Autor kein alter Mann von siebzig Jahren ist (trotz des Gedichtes Siedemdziesiątka na karku [Siebzig auf dem Buckel]. Interessant ist, daß es in dem wenige Monate zuvor erschienenen Band Arytmia noch dreißig waren: Trzydziestka na karku [Dreißig auf dem Buckel] - liegt es an der Instensität des Erlebens?) Dieses Motiv tauchte wohl zum ersten Mal in Arytmia auf, in Gedichten wie Jeszcze raz, jeszcze raz (Noch einmal, noch einmal) oder in meinem Lieblingsfragment aus dem Gedicht Pochłonie nas otchłań (Der Abgrund verschlingt uns): "Unsichtbare Kreise ziehen sich über die Erde, die sich hinter uns schließt / Die Seismographen lassen sich nichts anmerken". In Języki ognia kehrte dieses Motiv in ganz ähnlicher Form in dem Gedicht Kilometry taśmy (Kilometerlanges Band) wieder:

Wir erwachen in weißen Schleiern des Morgendunsts, mit der dampfenden Erde verschmolzen.
Schon sind wir andere. Ohne unnötige Herzen, lärmende Münder.
Eine große Stille verzeichnen die wachsamen Mikrophone, die empfindlichen Seismographen.

Das gleiche Motiv erscheint auch in Gedichten wie Ognisko domowe, Udomowienie oder Waty, cale, dżule: na raty, wcale, w ogóle (Watt, Zoll, Joule: in Raten, auf einmal, überhaupt). Unabhängig vom Titel läßt sich die Aussage jedes dieser Gedichte jedoch auf den gleichen Nenner bringen: auf eine Weltsicht, von der ich oben gesprochen habe, die verbunden ist mit der (teilweisen, worauf ich später noch kommen werde) Akzeptanz der Welt, ihrer Vergänglichkeit, Zeitlichkeit; mit der Akzeptanz des Todes als unvermeidlichem und deshalb normalem Stadium des Lebens, nach dem wir als göttliche Einheit weiter existieren.

Der Tod verfügt - bei einem solchen Ansatz - über keine Dramatik, keine Plötzlichkeit mehr, wovon Podsiadło in seinem Gedicht Waty, cale... schreibt:

...ich fühle, wie ich schwinde, ich bin immer weniger, ganz unbedrohlich, ohne Dramatik, verschwinde ich so langsam wie es geht.
Und in dem Gedicht Udomowienie:
Ich bin aus Rauch gemacht, mein Körper
kann jederzeit verwehen.

Wenn das nicht nur ein literarisches Bild ist, kann ich Podsiadło nur dazu gratulieren, daß er ein Mensch ist, der sich tatsächlich mit der Welt versöhnt hat (man denkt fast automatisch an Edward Stachura), und ich kann ihm nur wünschen, daß er ein anderes Ende findet, als der Autor [E. Stachura] von Pogodzić się ze światem (Sich mit der Welt versöhnen).

3. Löschen ohne Wasser, Sand in die Augen
Vieles, auf das ich oben eingegangen bin, wird vor allem bei den Lesern seiner frühen Gedichte ein begründetes Erstaunen hervorrufen. Wie läßt sich der Podsiadło, der in einem seiner Gedichte schrieb: "Ich bin dafür, um dagegen sein zu können" mit der franziskanischen Haltung vereinbaren, mit der universalen Akzeptanz und der Versöhnung mit der Welt? Kurz, irgendetwas paßt hier nicht. Und tatsächlich, Podsiadło hat sich nicht geändert, er ist immer noch wild, streitsüchtig und aggressiv. Doch zeigt sich das nur in ganz bestimmten Situationen, dort, wo eine aufklärerische Antinomie ins Spiel kommt: Natur - Zivilisation. (Es ist kein Zufall, daß einem Gedicht aus dem Band Dobra ziemia dla murarzy [Gute Erde für Maurer] ein Motto von Jonathan Swift vorangestellt ist). Podsiadło mag sich mit Spinne, Feuer und Stein "verbrüdern", aber nicht mit dem Touristen (auch wenn es sich um einen Stallburschen handelte), der "mit Autos schreckt, alles verschmutzt [...] und in den Fluß pinkelt, aus dem er Wasser trinkt" (Długie ramiona Chrystusa [Die langen Arme Christi]), der vielleicht einen Ameisenhaufen aushebt (Niezręczna cywilizacja [Unbequeme Zivilisation]), oder in ein altes, historisches Kreuz ritzt: "Hier habe ich hingeschissen. Heniek aus Jastrzębie". "Wir waren hier. Jan und Elżbieta" (Długie ramiona Chrytusa). Nach so etwas kann man sich kaum über derbe Äußerungen wundern, wie z.B. "ein Gnom mit einer Fotze anstelle eines Hirns" (Niezręczna cywilizacja - ich wüßte gern, was Feminstinnen von dieser dichterischen Beschreibung halten?), die bei Podsiadło nicht in den Wind gesprochen, sondern dem Leser ins Gesicht geschleudert werden.

Der Gedichtband mit dem Feuer im Titel (na, endlich kann man es sagen: nach Heraklit von Ephesos ist das Feuer die Grundlage der Welt, das Urelement, aus dem sich die Natur entwickelt hat, das zu Meer, Luft, Erde und wieder zu Feuer wird, was vieles erklärt; andererseits hätte ich nie erwartet, daß mir das "Wörterbuch der Symbole" bei einer Rezension oder Interpretation von Podsiadłos Gedichten von Nutzen sein könnte - erst Metaphysik, dann Symbolik??!) ist auf jeden Fall ein interessantes Angebot - sowohl im Hinblick auf die sog. alte wie die junge Lyrik - aber eigentlich ist es, wie gesagt, Ferienlektüre - bestens dazu geeignet, in den Rucksack gepackt und am Feuer gelesen zu werden.

P.S. Vorsicht bitte, damit weder die Seiten noch der Umschlag angesengt werden.

Jacek Posiadło: Języki ognia (Feuerzungen). Warszawa: "bibLioteka" 1994.

Aus dem Polonischen von Esther Kinsky


aolszGrzegorz Olszański - geb. 1973. Lyriker und Literaturkritiker. Verbunden mit der literarischen Gruppe "Na dziko" (wild). Veröffentlichte in vielen Literaturzeitschriften. Autor eines poetischen Flugblatts Recytacje z pamięci (Rezitationen aus dem Gedächtnis), Bytom 1995. Doktorand an der Philologischen Fakultät der Schlesischen Universität. Lebt in Bytom.

Die literarische Vierteljahreszeitschrift "FA-art" wurde 1988 von einer Studentengruppe gegründet, die mit dem schlesischen Kreis der pazifistischen Bewegung Wolność i Pokój (Freiheit und Frieden) verbunden war. Anfangs erschien die Zeitschrift im sog. zweiten Umlauf, d.h. außerhalb der Zensur. Ein Jahr später übernahm Cezary Konrad Kęder die Redaktion und die Titelrechte. Er gab der Zeitschrift ihre eindeutig literarische Richtung, auch wenn Literatur schon im ersten Heft ein wichtiges Thema war.
    Der Systemwechsel in Polen, der mit den Wahlen vom 4. Juni 1989 einsetzte, war für das literarische Leben von großer Bedeutung. Die Aufhebung der Zensur, Änderungen der Rechtslage, die Unbeweglichkeit staatlicher Verlage, die auf einmal ihrer Subventionen beraubt waren, der Untergang des Monopolisten im Buchvertrieb, das Ende vieler staatlich subventionierter Zeitschriften - all das förderte die Entstehung neuer literarischer Institutionen. Um so mehr, als es nur wenige der Verlage und Zeitschriften, die mit der Opposition der achtziger Jahre verbunden waren, schafften, sich unter den neuen Bedingungen institutionell anzupassen. Am besten kamen die Neulinge zurecht, die im ganzen Land Zeitschriften ins Leben riefen und dabei häufig von den lokalen Behörden finanziell unterstützt wurden. Eine wichtige Rolle spielte auch die stereotype Erwartung, daß die gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen auch Veränderungen des literarischen und künstlerischen Lebens begünstigen würden. Sowohl die Kritik als auch das Publikum zeigte Interesse an den Debütanten, und suchte bei ihnen den Beleg für die Wende in der Literatur, die wiederum eine Bestätigung für die politische Zäsur sein sollte.
    Die wichtigste Rolle in der jüngsten polnischen Literatur spielten die generationsspezifischen Zeitschriften, die bereits Mitte der achtziger Jahre entstanden waren und schon bald ihr jeweils eigenes Profil entwickelten, auch wenn sie damals noch im zweiten Umlauf erschienen ("bruLion" aus Krakau und - weniger ausgeprägt - "Czas Kultury" aus Posen). "FA-art" war zu diesem Zeitpunkt nur eine von den vielen studentischen Literaturzeitschriften mit einem nicht allzu großen Wirkungskreis. Bis 1992 gelang es, gerade fünf bescheidene Nummern mit literarischen bzw. kritischen Texten herauszugeben. Finanziert wurden sie überwiegend von den Redakteuren selbst. Aber gerade in diesen Jahren bildete sich das Redaktionsteam und das Programm der Zeitschrift heraus. Seit 1992 erscheint "FA-art" nun regelmäßig.
    Das erste Heft, das auf größeres Interesse stieß, war wohl die Doppelnummer 2/3 von 1993 (12/13). Außer Cezary K. Kęder waren damals in der Redaktion: Marcin Herich, Stanisław Mutz und Krzysztof Uniłowski. Zu den engsten Mitarbeitern gehörten Piotr Czakański-Sporek und Dariusz Nowacki. "FA-art" betonte seine Besonderheit durch einen spezifischen Programmcharakter. Sehr schnell wurde bemerkt, daß es unter all den neuen Literaturzeitschriften, die Zeitschrift mit dem deutlichsten und konsequentesten Profil war, und das, obwohl die Redaktion nie ein Programm oder Manifest sensu stricto vorgestellt hat. Das war auch überhaupt nicht nötig! Das "Programm" war ein Ergebnis des Treffens einer Gruppe von Debütanten, die sich hervorragend verstanden. Es verbanden sie Sympathie und Interesse und sie ergänzten sich gegenseitig hervorragend.
    Eine Eigenheit der Zeitschrift war die starke Akzentuierung der Literaturkritik. Das war kein Zufall. Die Verbindungen zur Polonistik an der Schlesischen Universität waren immer sehr stark, wenn auch nie formaler Natur. Während die jungliterarische Kritik (wir nennen sie "jungliterarisch", wobei man unbedingt hinzufügen muß, daß es in den neunziger Jahren in Polen gar keine andere gab) durch eine personenbezogene Einstellung geprägt war, und ihr Diskurs in der Regel einen impressiven und intimen Charakter besaß, schlug "FA-art" die analytische Option vor, indem sie die Tradition des Strukturalismus mit den postmodernistischen Sympathien in Einklang zu bringen suchte. Auch das war etwas Neues. Die Postmoderne wurde in Polen erst in den neunziger Jahren zum Thema. In der Regel jedoch - sagen wir es euphemistisch - war man weder dem Begriff noch der Erscheinung selbst zugeneigt.     In der Symphatie für den Postmodernismus glaubt man gewöhnlich die eigentliche Besonderheit der Zeitschrift zu finden. Man muß klar sagen, daß dies keine zufällige Wahl oder gar Mode war (zur Mode wurde in Polen dagegen die Kritik am Postmodernismus - am häufigsten in feuilletonistischer Manier betrieben). Schlesien war höchstwahrscheinlich die einzige Region in Polen, wo eine Zeitschrift wie "FA-art" entstehen konnte. Schlesien hat selbst keine größeren literarischen Traditionen und bildet - infolge der langjährigen Innenmigrationen - in gesellschaftlich-kultureller Hinsicht einen spezifischen, inkohärenten Wirrwarr, in wirtschaftlicher Hinsicht aber wurde es für die Moderne… zum Denkmal. Schlesien hat auch eine administrative Eigenheit - die Grenzen zwischen den Städten sind gänzlich verwischt, sogar Kattowitz läßt sich schwer als kulturell-wirtschaftliches Zentrum der Region bezeichnen und ließe sich vortrefflich mit der Wurzelstock-Metapher beschreiben. An Paradoxen mangelt es hier nicht: Den heute wirtschaftlich und kulturell integralen Teil von Schlesien bildet das Dąbrowskie-Becken, das einmal zum russischen Teilungsgebiet gehört hat und seine eigene kulturelle Spezifik sowie andere politische Traditionen besitzt. "FA-art" konnte zwischen einer regionalistischen und einer postmodernistischen Option wählen. Es sollte nicht verwundern, daß die Entscheidung intuitiv auf die zweite fiel, da es in der Sprache (im Polnischen oder in der Mundart) nicht einmal ein Wort gibt, mit dem die Identität der Mehrheit der Redaktionsmitglieder bezeichnet werden könnte. Wir sind keine Schlesier, aber wir sind auch keine Zugezogenen, keine "gorole" - wie die Schlesier die zugewanderte Bevölkerung nennen.
    Währenddessen erfreut sich im literarischen Leben Polens der neunziger Jahre aber gerade der Regionalismus einer besonderen Gunst - in der Regel handelt es sich dabei um einen proeuropäischen Regionalismus (dieVision von einem Europa der Heimatländer), der die Vorteile der Vielfältigkeit betont, und den Dialog der Kulturen und lokalen Traditionen befürwortet. Wenn "FA-art" dieser Option in gewissem Sinne polemisch gegenübersteht, dann liegt das am kritischen Verhältnis zum Begriff der Identität, die eine metaphysische Beziehung zwischen dem "Ich" und dem Sein, sowie dem Sein, dem Ort und der Wahrheit herstellt. Daher stehen wir der sog. "Heimatliteratur", die nach Meinung vieler Kritiker die bedeutendste literarische Strömung in der polnischen Literatur der neunziger Jahre darstellt, skeptisch gegenüber.
    Um die Mitte der siebziger Jahre machte sich im polnischen literarischen Leben eine Abkehr von den neuen (neoavangardistischen) Tendenzen bemerkbar. Das Ansehen solcher Dichter wie Czesław Miłosz, Zbigniew Herbert oder Tadeusz Konwicki wuchs auf Kosten der Popularität von Autoren wie z.B. Tadeusz Różewicz. Im Fieber der politisch-kulturellen Debatten der achtziger Jahre wurden Schriftsteller mit innovatorischen Ambitionen ziemlich abwertend als "Soz-Parnassianer" bezeichnet. Niemand stellte ihren künstlerischen oder intellektuellen Rang in Frage, sie wurden jedoch als veraltet verworfen und in die Literaturgeschichtsbücher verbannt. Die Debütanten der neunziger Jahre, die generell das im Jahrzehnt zuvor geltende Verständnis von dem, was Literatur zu leisten habe, ablehnten, suchten ihre Meister und Schutzherren unter den fremden Schriftstellern (wie z.B. Lyriker der New Yorker Schule, vor allem Frank O’Hara). Wir erinnerten in unserer Zeitschrift dagegen an die Leistungen der größten Vertreter der polnischen neoavangardistischen Literatur - an Tymoteusz Karpowicz, Witold Wirpsza, Miron Białoszewski, Teodor Parnicki… Wenn man in der Geschichte der polnischen Literatur weitergeht, stellen sich die meisten meiner Zeitgenossen an die Seite von Bruno Schulz (Renaissance der mythographischen Prosa), wir dagegen - an die Seite von Witold Gombrowicz. Die Literaturkritik nahm die Debüts der siebziger und achtziger Jahre, deren Autoren sich bemühten, avangardistische literarische Strategien zu entwickeln, sehr ungnädig auf. Diese Wertung aus der gar nicht fernen Vergangenheit wurde von unseren Zeitgenossen in der Regel übernommen. Umso mehr, als es dadurch leichter ist, sich selbst als etwas ganz Besonderes darzustellen. Und wieder, "FA-art" erinnert gerne an die damaligen Werke (von denen manche schon postmoderne Züge tragen), ohne den allgemeinen - vorgetäuschten oder echten - Gedächtnisschwund hinsichtlich der jüngsten Literatur zu akzeptieren, und ohne sich mit der großen These von dem "schwarzen Loch in der polnischen Prosa der achtziger Jahre" einverstanden zu erklären.
    Es sollte also nicht verwundern, daß die Zeitschrift - obwohl sie mit ihrer Geschichte selbst zum Phänomen der 60er-Generation gehört - den Leistungen ihrer Altersgenossen gegenüber eine kritische Distanz wahrt. In unseren Spalten haben wir mit der These einer ästhetischen Zäsur des Jahres 1989 polemisiert. Genauso stellten wir auch die Überzeugung in Frage, die "Jungen" unterschieden sich von ihren Vorgängern, indem sie neue Qualitäten anbieten oder neue literarische Erscheinungen anregen würden.
    Es war das große Glück von "FA-art", daß sich unter den Redakteuren und Mitarbeitern der Zeitschrift auch ein paar begabte Kritiker befanden. Sie wußten die neuen methodologischen Impulse zu nutzen, und für einen erkennbar eigenen Stil und unabhängige Urteile in ihren Texten zu sorgen. Parallel zum Auftritt der Debütanten in den neunziger Jahren gab es glücklicherweise eine interessante Bewegung in der Literaturkritik. "FA-art" spielte dabei eine beachtliche Rolle und zog im Laufe der Zeit auch Autoren an sich, die sonst mit anderen Titeln und anderen Kreisen verbunden waren; und zwar sowohl Kritiker als auch Lyriker oder Prosaiker.
    Die vorliegende Ausgabe unserer Vierteljahreszeitschrift bringt eine Auswahl der literarischen und literaturkritischen Texte, die zum großen Teil schon einmal bei uns publiziert wurden. Einer möglichst großen Verständlichkeit zuliebe, haben wir sie z.T. etwas gekürzt. "FA-art" hat den Ruf, eine ehrgeizige und schwierige Zeitschrift zu sein. 1996 verglich Arkadiusz Bagłajewski, Chefredakteur der Lubliner Vierteljahreszeitschrift "Kresy", unsere Zeitschrift mit der angesehenen, literaturwissenschaftlichen Fachzeitschrift "Teksty Drugie", die vom Institut für Literaturwissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. Nun, wenn in dem Vergleich ein bißchen Wahrheit steckt, ist das für uns ein Kompliment. Man muß auch gleich hinzufügen, daß ein Vergleich mit den "jungliterarischen" Zeitschriften, die dem Ethos und der Poetik der art-zin entstammen, ebenfalls möglich wäre. Allem Anschein zum Trotz kann man - so hoffen wir - das Akademische mit der Gegenkultur verbinden. In Zeiten der Massenkultur ist so eine Verbindung vielleicht sogar ganz natürlich.
    Ist "FA-art" eine schwierige Zeitschrift? Nein, wir betreiben keine l’art pour l‘art - das, was Kritiker der Zeitschrift als elitäre Züge einstufen, ist schlicht das Ergebnis einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den besprochenen Problemen und kommentierten Büchern, resultiert aus dem Mißtrauen und Widerwillen gegen triviale, publizistische Vereinfachungen. Dabei vergessen wir nicht, daß die Literatur und das Schreiben über die Literatur auch eine Unterhaltungsfunktion haben.
    Das Heft, das Sie in Händen halten, wurde so vorbereitet, daß es in seinem literarischen und kritischen Charakter, in seiner Redaktion und graphischen Gestaltung das Profil unserer Zeitung widerspiegelt. Zugleich wollten wir die nach unserer Meinung wichtigen literarischen Erscheinungen und Debatten der letzten Jahre vorstellen. Aus diesem Grund drucken wir in einigen Fällen (mit der freundlichen Erlaubnis unserer Freunde und Mitarbeiter) Texte, die zuvor in anderen Zeitschriften erschienen sind.
    Außerdem stellen wir einige Prosatexte in Auszügen vor, die entweder von unserer Zeitschrift veröffentlicht oder dort ausführlich besprochen und empfohlen wurden. Wir hoffen, daß diese Publikation dazu beiträgt, das Bild von der jüngsten polnischen Literatur zu vervollständigen, und es den interessierten Lesern ermöglicht, Einblicke in Charakter und Klima des polnischen literarischen Lebens zu gewinnen.
Czytany 12267 razy Ostatnio zmieniany poniedziałek, 19 październik 2015 22:37

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