Vielleicht brauchten wir doch etliche Jahre und drei aufeinanderfolgende Bücher von Janusz Rudnicki, um uns an die von diesem Autor propagierte Prosaformel zu gewöhnem und... ihr Gerechtigkeit werden lassen? Nein, das wäre zuviel verlangt. Ich denke eher an die Bereitschaft, sie durch das Prisma ihrer eigenen Regeln zu sehen. Um ihm nicht abzuverlangen, was sie selber - nach Wahl des Autors - verwirft.
Rudnickis Prosa schien von Anfang an über die stereotypen Vorstellungen der Autoren um "Twórczość" hinauszugehen. Schon über sein Debüt, eine Sammlung von Erzählungen, Można żyć (Es läßt sich leben), schrieben - und das wohlwollend - die Kritiker, die man ja keineswegs der Sympathie für Henryk Bereza und seine Schutzbefohlenen verdächtigen kann. Die Biographie des Schriftstellers (Rudnicki ist ein Zwangsemigrant des Kriegszustands) mag ein gewichtiger Umstand sein, allein in sich erklärt sie jedoch nichts. Es hat ganz den Anschein, daß es gerade Rudnicki war, der den Kritikern offeriert hat, was in der jungen Prosa der neunziger Jahre generell gefehlt hat: die Explorierung der eigenen Biographie im Kontext kollektiver Erfahrungen. Der Zufall wollte es, daß ausgerechnet ein solcher Autor der verächtlich traktierten "Twórczość" widerfahren ist. Irgendwie ist man jedoch damit zurechtgekommen: die Stereotypen hinsichtlich der Warschauer Zeitschrift hat Rudnicki zwar nicht gemildert, aber seine Anwesenheit bei "Twórczość" hat man ihm mitleidsvoll verziehen.
Janusz Rudnicki kann man - und man hat das in der Regel auch getan -der zahlreichen Autorenschar zugesellen, die sich dem Publikum als Spötter kundtut, sich über nationale Schablonen und Komplexe lustig macht. Am häufigsten erklärte man dies mit dem Wohnsitz des Schriftstellers, so als würde erst räumliche Entfernung, der Blick von Hamburg, Paris oder New York aus, es möglich machen, den Fortbestand von Phobien und Verletzungen wahrzunehmen, die Erbärmlichkeit der von ihnen gesteuerten Verhaltensweisen, schließlich und endlich die Zweideutigkeit der Kondition eines Nachdezemberemigranten auszumachen und bloßzulegen. Einigen wir uns, daß das bei Rudnicki ein unerhört wichtiges Problem ist, der Grundzug seines literarischen Selbstporträts. Bei vielen anderen, unter denen sein Name genannt wird, war dies hingegen nur ein episodischer Einschlag. Das ist bedeutsam, denn die Kritik war auf eine Adaption einer solchen Problematik gut vorbereitet. Dank dieses Umstandes zog die Prosa Rudnickis die Aufmerksamkeit der meisten Kritiker auf sich.
Die Konvention, die der Schriftsteller wählte, machte ebenfalls keine Schwierigkeiten. Siehe da, noch ein Beispiel für eine Literaturform, die Autobiographisches mit Elementen des Feuilletons der Skizze und der literarischen Fiktion, die Authentisches mit Phantasie verknüpft, faktographischen Realismus mit Groteske und Absurdum. Ein bekanntes Geflecht, so gut bekannt, daß man ihm auch keine besondere Aufmerksamkeit hätte zu schenken brauchen, sich nicht den Kopf hätte zerbrechen müssen, und die Lesern involvieren, mit Lösungen, die Rudnicki zwar mit seiner Signatur gekennzeichnet, jedoch nicht selber erdacht hat.
Mit einem Wort, in dieser Prosa ließ sich ein gewisser Widerhall von Lösungen ausmachen, die zu Anfang der Dekade den Schriftstellern als begehrtes Muster und Modell vor Augen stand. Doch irgendwo entschwand all das, was an dieser Prosa das Interessanteste schien, weil es reizte und beunruhigte.
Diese unanständig lange Einleitung war mir im Prinzip vonnöten, um zu erklären, warum wir dermaßen viel Zeit gebraucht haben, um die Spezifik dieser Prosa zu bemerken. Und sich mit ihr auszusöhnen. Genug gezögert, es muß endlich geradeheraus gesagt werden: Das, womit wir uns so lange nicht abzufinden vermocht haben, war Rudnickis Verbindung mit Witold Gombrowicz. Ich erkläre, daß es mir hier nicht um den Stil geht. Sicher kann man auch diesbezüglich eine gewisse Ähnlichkeit feststellen. Wenn sich das Ganze jedoch allein nur darauf bezöge, wäre es nichts weiter als eine Erwähnung wert. Indessen handelt es sich hier, meiner Meinung nach, um eine prinzipielle Angelegenheit.
Heute, da man sich leicht einen Leser vorstellen kann, der die Lektüre der "Twórczość" mit dem jeweiligen Brief-aus-Hamburg beginnt (ich gehöre zu denjenigen), könnte man, unter Wahrung jeglicher Proportionen, sagen, daß in der Warschauer Monatszeitschrift Rudnickis Texte eine ähnliche Funktion haben wie seinerzeit in der "Kultura" (muß man heute noch hinzufügen, daß damit die in Paris erscheinende gemeint ist?) die Fragmente aus dem Tagebuch von Witold Gombrowicz. Und auch die Genese des redaktionellen Einfalls ist eine verwandte: "Janusz Rudnicki wurde von der ,Twórczość' besonders privilegiert, für ihn wurde die feststehende Form der Briefe erfunden, um eine häufigere Publikation als die nur jährliche, wie das bei Prosa praktiziert wird, zu ermöglichen", erklärt Bereza in der Einleitung zum neuen Buch unseres Helden.
Und hier betreten wir das Feld einer wahrlich Grombrowicz'schen "unehrlichen Ehrlichkeit". Mit Rudnickis "Briefen" heißt es sehr behutsam umgehen. Ein genologisches Bewußtsein erweist sich hier als sehr brauchbar, doch man darf sich nicht naiv seiner bedienen. Darf sich keine sorglose Metaphysik der Briefgattung erlauben, kein Predigten über seine "Authentizität", "Natürlichkeit", die für ihn spezifische Einheit von Erfahrungs- und Schreibakt, seinen "präliterarischen Charakter" schließlich, darf nicht nach der "ersten Form" in ihm Ausschau halten, die Grundlage und Quelle jeglicher Literatur wäre. Bereza hat enthüllt, was wir seit langen hätten vermuten sollen: die Wahl der Briefform war im vorliegenden Fall zufällig und nicht zufällig zugleich. Sie wurde von redaktionellen Rücksichten diktiert, doch auch die Redakteure der Monatszeitschrift sahen im Brief ein ausgezeichnetes Kostüm, in das man Rudnickis Werke kleiden konnte. Keine Pamela, keine Malwina, kein polnischer Bauer, der aus dem brasilianischen Curitiba an das galizische Heimatdörfchen schreibt. Rudnickis "Briefe" sind von Anfang bis Ende ins Kommunikationsspiel integriert, das von der Unmöglichkeit, "ehrlich" zu sein, herrührt, von der Nichtexistenz einer "ersten Sprache" (in diesem Falle eine, die existentielle Erfahrung ausdrücken kann). Von Anfang bis Ende befinden wir uns in einer Sphäre der Stilisierung, die - eben das ist das Grombrowicz'sche Paradox - sich nur in einer einzigen Hinsicht zur Ehrlichkeit aufschwingt, nämlich bekennt, daß sie Stilisierung ist.
Man sollte sich vergegenwärtigen, daß ein Brief heute nicht für eine "natürliche" Form des Selbstausdrucks oder der Kommunikation angesehen werden kann. Er ist eine völlig anachronistische Gattung, weil seine gesellschaftlichen Funktionen von anderen Gattungen übernommen worden sind, die sich mit anderen Medien verknüpfen. Doch dank ihres Anachronismus ist sie zu einer durch und durch literarischen Form geworden. Wenn also Rudnicki aus Hamburg uns Briefe schickt, statt Aufzeichnungen, Notizen, Nikiformen oder andere "Horchspiele", es wäre naiv zu glauben, daß sich der Schriftsteller auf diese Weise "ausdrückt" oder wenigstens hin und zurück den Raum durchquert zwischen biographischem Faktum und Literatursinn.
Das ist ein wesentliches Problem, denn Rudnicki weiß genau um den Anachronismus der Literatur an sich, er ist sich bewußt, wie ratlos die heutige literarische Kultur angesichts der Frage nach ihrer gesellschaftlichen Rolle ist, was wohl am leichtesten zu merken ist in dem "Brief" Zatrat albo śmierć komiwojażera (Schwund oder Tod eines Handlungsreisenden), doch schließlich nicht nur dort. Mehr noch, er ist dermaßen unverfroren, aus dieser Ratlosigkeit den Trumpf seiner Prosa zu machen, denn indem er die Marginalität der Literatur hervorhebt, sucht er nach Methoden der Kostenbegrenzung für den Marginalisierungsprozeß:
"Die Literatur ruft noch immer, trotz allem, soviel Wertschätzung hervor wie ein Verstorbener. Und das sollte sie nicht. Ihre führende Bedeutung ist zusammen mit der führenden Bedeutung des Sozialismus verschwunden. Breite Leserscharen wurden durch Grüppchen von Fans ersetzt. Sie ist ganz und gar nicht so wichtig, wie sie sie darstellen. Einfach ein Vorschlag zur Freizeitgestaltung" (Zatrat..., S. 110).
Eine Provokation? Wenn's nur so wäre! Eine Provokation nähme nicht die Literatur selber aufs Korn, sondern die intellektuelle Oberflächlichkeit der literarischen Kultur. Eine Oberflächlichkeit, die sich in der Flucht vor der Notwendigkeit der Erkenntnis und Diagnostizierung des wahren Stellenwerts und der wirklichen Rolle der Literatur offenbart. Zweifellos erinnert das (und zwar sehr) an die Ausfälle von Gombrowicz gegen die Unechtheit der Subkultur der Poeten und Artismusgourmands. Und irgendwie ist da keiner in Sicht, der außer Rudnicki den Mut hätte, den Schriftstellern beiderseits der einstigen politischen Barrikade zu sagen: Der Kommunismus hat euch wichtig gemacht. Genauer gesagt, die konservative und vom Machtapparat abgesegnete traditionelle Medienhierachie, die dem geschriebenen Wort den Vorzug einräumte.
Die von Rudnicki nahegelegte Lösung ist auch wie von Gombrowicz entlehnt. Natürlich kann von Lösung nur gesprochen werden, wenn wir das Problem ernstnehmen. Doch gleichzeitig - gestatten wir uns keine eitlen, leeren Gesten des Bedauerns über die Nichtigkeit unserer Gegenwart. Dann, vielleicht, sind wir damit einverstanden, daß der Literatur nicht unbedingt amtlicherseits "führende Bedeutung" zustehen muß. Für den Schriftsteller bedeutet das, daß er sich der Literatur nicht völlig ergeben kann und sollte. Daß er, in Sorge um seine Autonomie, diese auch gegenüber der Literatur wahren sollte. Daß all die Platzkämpfe im Ranking, das Buhlen um Leser, die Lobpreisungen der (richtigen) Kritiker viel, viel weniger bedeutsam ist als das, wer schreibt. Daß die Tabakiere für die Nase da ist, nicht die Nase für die Tabakiere.
Was sucht Rudnicki, wenn er andere Schriftsteller liest? Den Menschen. Nur, bei Gott, nicht das Individuum, die einmalige Persönlichkeit und Sensibilität. Diese pseudohumanistischen Phrasen sind vollkommen leer! Rudnicki ist ganz einfach neugierig, wie dieser Typ und jenes Mädel mit der Schriftstellerrolle zurechtkommt, mit der Rolle als Gewissen der Nation, des herrausragenden Intellektuellen, Sachwalters der Gesellschaft und Geber reiner, künstlerischer Gemütsbewegungen. Den Rollen sollte man nicht restlos erliegen. Rudnicki gefällt ein gewisser Spielraum, ein Zeichen der Distanz, ein Auseinanderklaffen zwischen Mensch und Schriftsteller.
Am meisten haben Rudnickis Philippiken gegen die Schriftsteller und ihre Werke, alles in Großbuchstaben, die Nerven strapaziert. Daß diese kritischen Bemerkungen inkompetent, ungerecht (gegenüber den Schriftstellern und ihren Kommentatoren), manchmal boshaft, manchmal neunmalschlau, manchmal grünschnäbelig sind - was das anbelangt, da sind sich sowohl Jerzy Jarzębski als auch Janusz Drzewucki und Dariusz Nowacki einig. Es ist klar, daß Rudnicki um das Anderssein kämpft, daß er zum Trotz schreibt, daß er seine Unabhängigkeit kenntlich machen will. Soll doch jene Unabhängigkeit wenigstens auf etwas Erhabenem und Wertvollem basieren, zumindest auf redlicher literaturwissenschaftlicher Arbeit... Aber Anderssein aus Prinzip? Aus Trotz?
Ich verstehe nicht. Rudnicki hat das Recht, sich über die armen Polen auf deutschem Pflaster lustig zu machen, über den Landwirt, der davon träumt, die Tochter an einen Kerl im Auto mit weißen Kennzeichen zu vergeben, über sich selbst, aber von Bruno Schulz - Finger weg? Gombrowicz konnte auf Dante herumreiten, doch was Jupiter gebührt, gebührt einem Ochsen... dem Verfasser von Cholerny świat (Verdammte Welt) noch lange nicht? Dabei führt Rudnicki seine Scharmützel gegen die polnischen Schriftsteller tatsächlich genau mit der Taktik und Strategie des Autors in Tagebuch. Merkwürdig, daß ein so hervorragender Gombrowicz-Kenner wie Jerzy Jastrzębski diesen Umstand total übergeht. Schließlich, in diesen - klar, daß sie ungerecht sind - Polemiken geht es nicht nur darum, literarische Größe zu attackieren. Rudnicki, der einmal gegen Schulz anging, und im neuen Band gegen Zofia Nałkowska und Maria Dąbrowska (s. O tym, jak czytałem dzienniki Dąbrowskiej i Nałkowskiej [Davon, wie ich die Tagebücher der Nałkowska und der Dąbrowska las]), fragt, was bleibt. Denn im WERK - dessen war sich Gombrowicz bewußt, als er im Schatten des eigenen Grabes über Dante schrieb - nur ein Leichnam. Oder der Polnische Schriftsteller - fügt Rudnicki hinzu. Meinerseits wäre ich neugierig, wie Rudnicki mit Gombrowicz zurechtkäme. Ich bezweifle jedoch, daß der Autor von Cholerny świat sich auf ein solches Unterfangen einließe. Denn wenn er über Gombrowicz schriebe, schriebe er auch ein wenig über sich selbst, in jedem Fall über jemand Nahestehenden. Über den Vater vielleicht? Gehört es sich, dem Vater öffentlich etwas vorzuwerfen?
Ich vermute mal, daß Rudnicki Gombrowicz eine Stilisierung zum Artifiziellen vorgeworfen hätte. Und Vornehmheit. Denn über Witold von und zu Bodzechów und Małoszyce schriebe sein natürlicher Sohn. Rudnickis Gombrowicz ist der in einem unrechtmäßgen Verbund mit dem Erbe (mütterlicherseits?) Volkspolens assoziierte: seines zur Schau gestellten Triumphalismus und im Verborgenen kultivierten Fatalismus, seiner Kunstgewerblichkeit, seiner antideutschen Propaganda und Komplexe, seiner Mythen vom Proleten und dem Mann aus Marmor, seiner Intelligenzfeindlichkeit, seines Sekundärinfantilismus.
Natürlich ist es nicht das Erbe, dessen Sklave Rudnicki wäre.Wenn ihn da etwas fesselt, dann nur in dem Sinn, daß er sich genötigt fühlte zu dessen unablässiger Kompromittierung. Es passiert ihm sogar, daß er das mit Hilfe feuilletonistischer oder publizistischer Exkursionen tut (übrigens eine der weniger interessanten Seiten seiner Prosa).
Wenn also Rudnicki plaudert, dann auf eine überaus merkwürdige Weise, bedenkt man die Tradition der Gattung. Allzu sehr fühlt er sich als Kind der unvergeßlichen Volksrepublik, um das Augenmerk zu sehr auf Rzewuski oder auf das Ethos der Intelligenz zu richten. Seine Plaudereien sind dafür mit Phrasen gesättigt und mit syntaktischen Strukturen, wie sie charakteristisch sind für... die volksümliche Erzählfolklore.
"Volkstümlich" und "plebejisch" heißt jedoch nicht Verbeugung Richtung "Wurzeln", der eigenen Tradition, lingua materna. Rudnicki betont stets die Eigentümlichkeit hinsichtlich der Sprache, von der er Gebrauch macht.
Daher bleiben wir auch in diesem Fall in der Sphäre der Stilisierung. Man kam sagen, daß Rudnicki der letzte Prosaiker der "plebejischen Strömung" ist, den man - etwas gewaltsam - der heimischen Literatur in den siebziger Jahren einzureden versuchte. Der letzte, weil er bestens weiß, daß man heute in "Plebejertum" nichts weiter sehen kann als eine literarische Stilisierung, die natürliche und echte Sprache (und die Art, wie man die Welt wahrnimmt).
Rudnicki ist nicht nur das Artifizielle, sondern auch Gombrowicz' Intellektualismus fremd. Ihn verlangt es nicht nach dem Philosophieren mittels der Literatur und auch nicht nach stilistischer Meisterschaft. Das ist gut in Salons. Er ist eher bereit, mit der "plebejischen" Sichtweise literarischer Angelegenheiten zu spielen. Es läßt sich leicht denken, daß dem auf diese Weise gesehenen schriftstellerischen Schaffen nicht nur das Privileg, die eigene Bedeutsamkeit zu zelebrieren, entzogen wird, sondern schon allein die Beschäftigung mit Literatur als eine geradezu komische, unpraktische Angelegenheit denunziert wird. Und welchen Gewinn kann das Schreiben überhaupt erbringen? Die Literatur hält fest - sagt die Mutter, die Erzählerin, in der Einleitung, die den "Briefband" (Chrobotek reniferowy - Leichtes Rentiergerassel) eröffnet. Wenn sie jedoch Personen und Ereignisse festzuhalten hätte, wieso geht es dann nicht ohne Lüge ab? Uns hilft kein dialektisches Kunststückchen von der Art der Behauptung, daß bisweilen Erfinden ("das wahre Erfinden", wie Marek Hłasko sagt) wahrhaftiger ist als faktographische Treue. Wenn die Literatur was auch immer registriert, dann den Schriftsteller selber. Dennoch handelt es sich nicht um ein im Text fixiertes Selbstporträt. Der Schreibende ist nicht irgend etwas, das sich darstellen würde. Der Schreibende ist derjenige, der mit dem eigenen Text spielt, ist die gewisse Spannung, der differenzierende Mechanismus. Seine "Briefe" schreibt Rudnicki manchmal in Hamburg, manchmal in Kędzierzyn, er schreibt über die Polen in Deutschland oder über die Polen in Polen. Er selber paßt weder hier, noch dorthin. Er befindet sich auf der Grenze. Doch auch die Grenze bezeichnet keinen Ort oder auch nur eine abgesteckte Linie in einem zwischenstaatlichen Vertrag. Grenze ist, was ausgestrichen und festgesetzt wird, während man sie überschreitet, sie also aufhebt, was gleichzeitig eine neue Grenzziehung, dicht daneben, erforderlich macht. Unter den vielen Gründen, um deretwillen man die Grenze stets in Erinnerung haben sollte, erwähnt Rudnicki auch den, daß "das die einzige Sache ist, die wir Polen euch, den Deutschen, gegeben haben. Grenze ist das einzige polnische Wort, Herr Zöllner, das sich in der deutschen Sprache eingebürgert hat" (Chrobotek reniferowy, S. 21).
Man kann den neuesten Prosaband von Janusz Rudnicki schwerlich als ganz und gar gelungen ansehen. Ähnlich wie die beiden vorangegangenen Bücher ist er holperig. Selbst bei wohlwollender Betrachtung - die Texte rufen sämtlich Vorbehalte hervor. Vielleicht mit Ausnahme des einen: Kędzierzyn Koźle pod wodą [Kędzierzyn Koźle unter Wasser], der von Anfang bis Ende überzeugt. Denn schon Chrobotek reniferowy, der sich sehr verheißungsvoll anläßt, wurde mit einem etwas angestrengten Finale ausgestattet, einer Pointe, die leicht gequält wirkt. In anderen Fällen werden viele großartige Partien oder Episoden von weniger gelungenen Passagen begleitet, die einen allzu leicht vorausschaubaren Spott, abgedroschenen Witz, eine Publizistik minderer Qualität transportieren. Aber auch Rudnicki bleibt der sofort durchschaubare Autor, der allein um die eigene Wahrheit und die eigene Sendung besorgt ist.
Letztere würde ich mit einem einzigen Wort umschreiben wollen: Selbstständigkeit. Rudnickis Prosa macht Mut, der aus eben jener Tugend resultiert. Und es handelt sich hier keineswegs darum, die Autonomie des Einzelwesens zu verteidigen, oder um das Recht auf ungehinderten Selbstausdruck. Ich stelle mir eine Interpretation vor, die nachwiese, daß Rudnicki im Grunde Stereotypen schätzt, die er selber doch so unbarmherzig verspottet. Denn wir haben immerhin nichts anderes, nur mit ihrer Hilfe vermögen wir uns irgendwie zu verständigen. Das Kunststück liegt jedoch darin, sich ihrer zu bedienen, ohne in Abhängigkeit zu verfallen, nicht zuzulassen, daß man sich von ihnen leiten läßt. Ein nicht allzu ehrgeiziges, nicht allzu novatorisches Programm. Nun ja, Rudnicki führt die Polen nicht heraus aus der Gefangenschaft polnischen Gepräges. Seine Ambitionen sind bescheidener. Schließlich reicht seine Sendung nicht bis über den Antlantik hinaus, sondern nur bis jenseits der Oder. Nicht Trans-Atlantik, sondern "Oder-Trans". Folglich nur eine bescheidene "Auflockerung" der Form, folglich nur Distanz. Gobrowicz für Arme? Aber sicher doch! Gombrowicz nach unserem Zwergenmaß.
Und ich würde noch hinzufügen, daß Rudnicki vor einem leichtfertigen Durchstreichen der eigenen Vergangenheit warnt. Daß er Vergessen nicht zuläßt. Weder die "Twórczość" (in der Stunde der Triumphe der kleinen Vaterländer). Weder die Prosa der vorangegangenen Dekade (nach dem angeblichen literarischen Umbruch 1989). Noch die VR Polen (in Zeiten der Republik Polen). Immerhin kann Durchgestrichenes, für immer ausgemustert und vergessen, zurückehren. Als Gespenst. Oder als Farce. Indessen - dort ist unser Anfang. Vergeblich, sich zu wehren...
Janusz Rudnicki: Tam i z powrotem po tęczy. Listy z Hamburga - ciąg dalszy (Hin und zurück auf dem Regenbogen. Briefe aus Hamburg - Fortsetzung). Einleitung H. Bereza. Warszawa: PIW 1997 [Serie "Neue polnische Prosa"].
Aus dem Polnischen von Karin Wolff
Krzysztof Uniłowski - geb. 1967. Nach dem Polonistikstudium an der Schlesischen Universität begann er 1992 am Institut der Wissenschaften für Polnische Literatur der Schlesischen Universität zu arbeiten. Sein Interesse konzentriert sich auf die neuen Tendenzen in der polnischen Prosa nach 1956. Mit "FA-art" ist er seit 1989 verbunden, als Kritiker schreibt er auch für "Twórczość". Autor der literaturkritischen Abhandlung Skądinąd (Im Übrigen), Bytom 1998. Laureat des 2. Preises in dem von der M.K. Górscy-Stiftung veranstalteten Wettbewerb für die beste literaturwissenschaftliche Doktorarbeit für das Jahr 1997. Lebt in Katowice.
Oder-Trans
Napisane przez Krzysztof UniłowskiVielleicht brauchten wir doch etliche Jahre und drei aufeinanderfolgende Bücher von Janusz Rudnicki, um uns an die von diesem Autor propagierte Prosaformel zu gewöhnem und... ihr Gerechtigkeit werden lassen? Nein, das wäre zuviel verlangt. Ich denke eher an die Bereitschaft, sie durch das Prisma ihrer eigenen Regeln zu sehen. Um ihm nicht abzuverlangen, was sie selber - nach Wahl des Autors - verwirft.
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Wszyscy jesteście postmodernistami!
Konrad C. Kęder: Wszyscy jesteście postmodernistami! Szkice o literaturze lat dziewięćdziesiątych XX w.
Wydawnictwo FA-art 2011. ISBN 978-83-60406-13-7
e-book: Wydawnictwo FA-art. Katowice 2015. ISBN 978-83-60406-54-0„Panie i Panowie! Poetki i poeci! Urodzeni po 1960 roku laureaci konkursów i przyszli nobliści! Wszyscy jesteście postmodernistami. A jeśli wy jesteście postmodernistami — to ja nie (chociaż kiedyś byłem)”.