Die Hand darf nicht zittern: Die Prosa von Zbigniew Kruszyński ist eine der interessantesten und wertvollsten Angebote seit mehr als einer Saison! Zuerst das kraft- und ausdrucksvolle Entrée (Schwedenkräuter, gegen Ende 1995), jetzt die zweite, nicht minder attraktive Enthüllung Szkice historyczne. Powieść (Historische Skizzen. Ein Roman), da ist kaum ein Irrtum möglich: Die Phänomenalität Kruszyńskis Erzählkunst sollte mit Glockenläuten begrüßt werden. Mehr noch, diesmal sorge ich mich nicht um Geraune und Atemlosigkeit in Kritikerkreisen; in gerade diesem Fall scheint mir freudige, von (kontrolliertem!) Enthusiasmus hervorgerufene Erregung schlichtweg angemessen. Schließlich hat sich sogar ein so wählerischer Leser wie Krzysztof Uniłowski zu warmen Empfindungen hinreißen lassen und die Schwedenkräuter in den oberen Regionen höherer Zustände angesiedelt... Die These ist daher die folgende: Kruszyńskis Prosa ist der nächste Schlag ins Gesicht der überheblichen und in ihre kleinen Stars vergafften Dreißigjährigenliteratur, ist der nächste Beweis dafür, daß das Bedeutsamste an Narrativem der neunziger Jahre außerhalb der sogenannten bruLion-Generation vonstatten geht. Daher mein Ruf zu kühnem Glockenschlag.
Übereinstimmend mit der allgemein im Schwange befindlichen, kräftig banalisierten und in großem Umfang kompromittierten Ansicht, erwächst jeder literarische Gegenstand aus einem biographischen Konkretum. Es wird die Meinung vertreten, daß die endgültige Hypothese, die sowohl aus der brachen Reduktion resultiert wie aus ihrer eigenen Notwendigkeit, die Hypothese des Autors ist, und man schwerlich - so richtig - an seinen (des Autors) Erfahrungen, Anschauungen, Neigungen, an seiner Persönlichkeit, und was es da sonst noch gibt, vorbeikommt... Alles in allem schreibt man Bücher mit sich selber, so wird gelegentlich behauptet, und wenn andere Weisen, den Sinn zu Tage zu fördern und Bedeutungen zu adaptieren, enttäuschen, werfen wir einen Blick auf die Geburtsurkunde und in den persönlichen Fragebogen eines Schriftstellers aus Fleisch und Blut. Jene allgemein übliche Anschauung kann man natürlich auch an beide Romane von Kruszyński als Maßstab anlegen. Folglich darf man getrost verkünden, daß der Autor sowohl in seinem Debüt, den Schwedenkräutern, wie auch in den Szkice historyczne die eigene biographische Erfahrung beackert. Auf jeden Fall könnte jenes Konkretum hier eine gewisse Basis sein (obgleich man ehrlicher: Rettungsboot sagen sollte): Kruszyński war (soll gewesen sein? war tatsächlich?) ein Repressionen ausgesetzer Aktivist der Solidarność, ein Konspirator, eine letztendlich zur Emigration gezwungene Person. Aber (und das ist ein Aber in Großbuchstaben) - erstens verweigert der Verfasser der Schwedenkräuter mit Vorbedacht die Auskunft zur eigenen Person (die Umschläge beider Bücher schweigen konsequent in dieser Sache), zweitens, seine Narrationen sind so konstruiert, daß wir geradlinigen Leser vor der Sünde der Naivität behütet werden. Und eben dieses zweite Argument ist das entscheidende, das zugleich die Abwesenheit eines Biogramms erkärt.
So also stützen sich beide bislang publizierten Romane Kruszyńskis auf die gleiche Strategie der Verhehlung und Zerschlagung des (personalen) Erzählzentrums und der Bedeutungsanhäufungen, die um die sprechende Person konstituiert sind, was letztendlich den Eindruck vermittelt, als tauchten die faßbaren Sinnzusammenhänge nur einen Moment lang auf und verschwänden gleich wieder. Uniłowski hat das Phänomen der Aufhebung der Einheitsidee (sowohl der personalen als auch der erzählerischen) sowie der Destruktion des Textzusammenhalts als Methode zur Vermehrung des risomatischen Textes erkannt. Bei diesem Stand der Dinge scheint die Hypothese des Autors ein Ballast zu sein, etwas Unpassendes und im Grunde Unpraktisches, eine Falle für unsere unguten Lesegewohnheiten.
Aber dennoch verpflichtet das im Romantitel enthaltene Adjektiv "historisch" zu etwas. Irgendwie läßt es sich nur schwer in Klammern setzen, ist ein Eindringling. Und zwar deshalb, weil man in den Szkice... eine reichliche Menge an Bruchstücken des Konkretum findet, an zerstückelten und versprengten Daten aus der außertextlichen Realität. Mehr noch - diese semantischen Teilchen kulminieren, unterliegen der Konzentration, ja sogar der Verbindung. Auf ihrer Grundlage ließe sich zum Beispiel etwas wie eine Genertionserfahrungskarte anfertigen oder auch erkennen, um welche Gegenwart in der Historie es geht, das heißt, worauf die "Historizität" des Skizzenhefts beruht. Und obwohl in Kruszyńskis Roman die "Historizität" immer in Opposition zur "Privatsphäre" des Helden steht, lauert hier eine unwiderstehliche Versuchung: dieses Werk als die Beichte eines Kindes des Jahrhunderts zu lesen. Dieser Appetit wird - so steht zu erwarten - vornehmlich denjenigen Lesern zuteil, die jene Bruchstücke aufschnappen und erkennen, vor allem aber sich darin selber, die eigenen Biographien sehen; diese Motive wirken wie Gemeinschaftszeichen (Gemeinsamkeit der Erfahrungen? der Generation? der Zeit?). Hier ein paar Beispiele für solche Signale: "B. erzählte. Sein Papa hatte ein zerlesenes graues Buch. Dziennik [Gombrowiczs], Paris, Erster Band. Er las es von Anfang bis Ende, sie lasen es von Anfang bis Ende. Nach Rückkehr zu R. suchte er den zweiten Band in der Bibliothek. Er war nicht da." (S. 18). Oder: "Sie setzte die Schallplatte in Gang, eine aus Vinyl, es knisterte, als wie man an einem Ärmel reißt - weißt du? - famous blue raincoat. Er wußte. Die Wohnung, die siebziger Jahre. Eine Matratze direkt auf dem Fußboden. Grammophone in Koffern, fertig zur Ausreise. Die Platten so teuer, als hätte man sie gleich aus Gold gepreßt, reiner Spielgewinn" (S. 25). Und noch ein weiteres Beispiel ist der kurze Satz: "F. traf er auf der Konferenz über die Geschichte literarischer Formen im Licht der Entwicklung" (S. 74).
Kruszyński hat in seinem "Skizzenbuch" Dutzende solcher Bruchstücke plaziert. Aus ihnen ist die Historie zusammengesetzt, gebaut. Aber wessen Historie eigentlich? Wirklich die eines typischen polnischen Intellektuellen, der in den Fünfzigern geboren wurde? Im Licht der obengenannten, aufs Geratewohl ausgewählten Zitate - eines von der verbotenen Frucht (Witold Gombrowicz) behexten Intellektuellen, der andächtig der damaligen Kultmusik (Cohen) lauscht, unter der stumpfen Grauheit der Polnischen Volksrepublik leidet und sich schließlich klar darüber wird, daß das Leben woanders (Westen) stattfindet, und auf der Universität und frisch danach die Religion seiner Zeit, den Strukturalismus ("Über die Geschichte der literarischen Form...") praktizierte? Später, natürlich, das Sich-berauschen an der ersten Solidarność, radikale Entschlossenheit und die Naivität des Opositionellen, Internierung, Konspiriererei, schließlich Emigration und dann letzten Ende die Entscheidung, ins nunmehr freie Land zurückzukehren. In dieser Biographie finden auch noch anders geartete Begebnisse Platz; der Held erlebt zahlreiche Mißlichkeiten, keineswegs fremd sind ihm die sogenannten Abstürze des Lebens, in rein privater Hinsicht, Ehekrisen, Abrechnungen und Bilanzen...
Aus der obigen, unbeholfenen (ich schlage mir an die Brust) Wiedergabe könnte fälschlicherweise geschlußfolgert werden, daß da Kruszyński einen Roman geschrieben hat, auf den seit Jahren (eigentlich seit eh und je) die konsumptiv eingestellten Leser warten, die mit einer Ausdauer, die einer besseren Sache wert wäre, nach einem epischen Panorama Ausschau halten, es sozusagen "in Auftrag geben", dem großen Gesellschaftsroman, der endlich sagen würde (auspacken?), wer wir sind, woher wir kommen, wohin wir gehen und wer uns in Ordnung bringt. Zbigniew Kruszyński hat jedoch diese unmögliche Mission nicht erfüllt, hat nicht bewiesen, was er nicht beweisen konnte, daß das Unmögliche dennoch möglich ist... Die Szkice historyczne lese ich als eine Sache, die u.a. von den Schwierigkeiten, ein episches Panorama zu zeichnen, von der Problematik des Resümierens spricht - mit dem Worten des Buchumschlags: "von unseren Erfahrungen der letzten Jahre".
Die Aufgabe, von der hier die Rede ist, ist aus etlichen Gründen undurchführbar, der wichtigste besteht darin, daß es keine narrative Sprache gibt, aus der man jenes Panorama errichten könnte. Ein kundiger Autor wie Kruszyński weiß darum, mit Sicherheit weiß er Bescheid, worüber er als Romanschriftsteller verfügt. Und er verfügt vor allem über einen imponierenden Stil, eine unheimliche Erfindungskraft auf diesem Gebiet. Für ihn, wie ich annehme, ist das "historische" Skizieren insofern verlockend, als sich die in Schwedenkräuter offen zum Ausdruck gebrachte Strategie wiederbeleben läßt: "Stil, das ist Abweichung." Wie also sollte ein Roman möglich sein, "der unsere Erfahrungen der letzten Jahre resümiert" (das ist die Empfehlung vom Umschlag), sofern sich "unsere" Sprache auf keine Weise in Einklang bringen läßt? Es existiert da nur Kruszyńskis Sprache, die meiner Meinung nach hinreißend ist.
Mit Recht sagt Tadeusz Komendant über den Autor, "er [Kruszyński] betreibe eine Schriftstellerei bereits auf dem Niveau der Phrase. Jedesmal, wenn hier ein Satz beginnt, ist völlig unklar, wie er ausgeht". Selbstverständlich hätte eine solche schriftstellerische Strategie, eben eine solche Textproduktivität nicht viel mehr Sinn, als eine gewöhnliche Schau, ja sogar als Kennzeichen einer überdurchschnittlichen sprachlichen Raffinesse. Meinem Empfinden nach huldigt Kruszyński nicht nur darum dem Grundsatz der "Abweichung", weil auf diese Weise die Autonomie des schriftstellerischen Ich zum Ausdruck kommt (das Bedürfnis nach einem eigenen Idiolekt als conditio sine qua non ambitionierten Textschaffens), sondern vor allem darum, weil er auf genau die Weise auf das zentrale Problem verweist: ohne "Abweichung" keine Erzählung(en). Das nämlich, wovon er berichtet, das heißt letztendlich das, was sich uns als Text der Historie empfiehlt, existiert nur als Sprachabenteuer.
Zwei solcher Beispiele. In Kapitel 4 der Szkice historyczne findet sich eine äußerst erbauliche Schilderung, die wie folgt beginnt: "Zum Jahrestag trommelte man eine Demonstration zusammen, von überallher, allenthalben, so um den Deutschen die Pläne zu durchkreuzen" (S. 31). Die Straßen von Wrocław hatten deutsche Namen bekommen, und die ganze Schilderung tendiert zu grotesker Deformation, in der man u.a. den Widerhall idiotischer Nachkriegsfilme Volkspolens aufspüren kann, ein Romangeschehen, wo sich Schlachtenmalerei mit Reporterbericht mischt und wo sich mühelos das Konkretum tatsächlicher Demonstrationen des Kriegszustandes erkennen läßt. Das zweite Beispiel hingegen ist der Monolog eines widerlichen Typs vom Sicherheitsdienst, der seine Erpressung startet: "Wir können dich fertigmachen. Wir können dein Frauchen und dein liebes kleines Söhnchen fertigmachen" (S. 80). Doch schon bald macht die Widerlichkeit dieser Rede ("Norm", Wahrscheinlichkeit, Zitat aus der Realität) sprachlichen Balanceakten Platz, schaltet sich die "Abweichung" ein: "Wir können deine Geliebten und Cousins fertigmachen, und die Geliebten der Cousins, und die Cousins der Geliebten. Wir können dich absolut zur Sau machen, und zwar ordentlich, hier und jetzt. Wir können dir ein paar reinhauen, hic et in 'en Schwanz" (ebd.). Steckt in einem solchen Verfahren demnach die Lust am Gespött? Handelt es sich um ein Pamphlet gegen die heroischen und ungleichen Scharmützel mit den ZOMO-Leuten im Stile Roman Bratnys giftiger Feder? Soll das Brechen der Charaktere der Verfolgten durch den Sicherheitsdienst weniger schrecklich erscheinen, gleichsam durch Humor pazifiziert?
Natürlich nicht. Kruszyński sucht - wie jeder gediegene Schriftsteller - nach dem sprachlichen Äquivalent für die zutreffendste Beschreibung der Sonderbarkeit des Daseins, der Wiedergabe der Seltsamkeit des in die Historie Involviertseins insbesondere (Solidarność, Kriegszustand, Repression, Konspiriererei, politische Emigration). Und hier bewährt sich die Strategie der "Abweichung" aufs beste, der wahre Geschmack von Zbigniew Kruszyńskis Prosa.
Zbigniew Kruszyński: Szkice historyczne. Powieść (Historische Skizzen. Ein Roman). [Ohne Ort] Wydawnictwo FAUST 1996.
Aus dem Polnischen von Karin Wolff
Dariusz Nowacki - geb. 1965. Polonist, Literaturkritiker. Redakteur von "FA-art" und der Zeitschrift "Opcje", wo er die Literaturabteilung leitet. Ständiger Mitarbeiter anderer Literaturzeitschriften ("Twórczość", "Kresy", "Kwartalnik Artystyczny"). Sein Hauptgebiet ist die zeitgenössische polnische Prosa, besonders die der Debütanten; seine Doktorarbeit handelte über das Werk von Jerzy Andrzejewski. Lebt in Sosnowiec.
Abweichung
Napisane przez Dariusz NowackiDie Hand darf nicht zittern: Die Prosa von Zbigniew Kruszyński ist eine der interessantesten und wertvollsten Angebote seit mehr als einer Saison! Zuerst das kraft- und ausdrucksvolle Entrée (Schwedenkräuter, gegen Ende 1995), jetzt die zweite, nicht minder attraktive Enthüllung Szkice historyczne. Powieść (Historische Skizzen. Ein Roman), da ist kaum ein Irrtum möglich: Die Phänomenalität Kruszyńskis Erzählkunst sollte mit Glockenläuten begrüßt werden. Mehr noch, diesmal sorge ich mich nicht um Geraune und Atemlosigkeit in Kritikerkreisen; in gerade diesem Fall scheint mir freudige, von (kontrolliertem!) Enthusiasmus hervorgerufene Erregung schlichtweg angemessen.
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