środa, 07 październik 1998 20:30

Aus der Schule Michel Foucaults

Napisane przez Marian Kisiel
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Tadeusz Komendant ist eine der größten Offenbarungen in polnischen Essays der letzten Jahrzehnte. Dieser Satz ist ausnehmend unschön, denn ich vergegenständliche mit ihm den Schriftsteller, doch mir fällt nichts anderes ein, was meine tiefsten Überzeugungen angemessen zum Ausdruck brächte. Ich glaube sogar, daß, wenn Komendant in einem gewissen Moment nicht zur Feder gegriffen hätte, unsere Literatur einen größeren Verlust erlitten hätte, als wir uns das vorstellen könnten. Es handelt sich hier nicht nur um die Bücher, die von seiner Hand stammen oder von ihm übersetzt worden sind, es handelt sich vor allem um den Schreibstil, seine Art zu denken, zu schlußfolgern, unnachahmlich, eigen, souverän.


1. Tadeusz Komendant ist eine der größten Offenbarungen in polnischen Essays der letzten Jahrzehnte. Dieser Satz ist ausnehmend unschön, denn ich vergegenständliche mit ihm den Schriftsteller, doch mir fällt nichts anderes ein, was meine tiefsten Überzeugungen angemessen zum Ausdruck brächte. Ich glaube sogar, daß, wenn Komendant in einem gewissen Moment nicht zur Feder gegriffen hätte, unsere Literatur einen größeren Verlust erlitten hätte, als wir uns das vorstellen könnten. Es handelt sich hier nicht nur um die Bücher, die von seiner Hand stammen oder von ihm übersetzt worden sind, es handelt sich vor allem um den Schreibstil, seine Art zu denken, zu schlußfolgern, unnachahmlich, eigen, souverän.

Komendants schriftstellerisches Schaffen kommt leichtfüßig daher, hat Witz, einen ganz eigenen Ton, Charme, seine Kadenz. Der Leser wird jedesmal vom Essayisten verführt, doch stets seriös behandelt. Dort, wo bei anderen kokettiert wird, herrscht hier eine Aura freien, unbefangenen Scharfsinns. Komendant schätzt die Literatur allzu hoch, um nicht zu wissen, daß es letztendlich der Leser ist, der den Schriftsteller erwählt. Jede Unaufrichtigkeit oder unkluge Bemerkung wendet sich irgendwann gegen den Autor.

Trotz der Eleganz des Stils, der Reiz der Sprache, mißt sich jedes Buch von Tadeusz Komendant an Problemen, von denen wir mit Gewißheit annehmen, daß sie nicht leicht lösbar sind. So war es in Zostaje kantyczka (Das Kirchenlied wird bleiben), einer Sammlung von Essays über die Verwicklungen des polnischen Geistes und der Sprache, die mit der Tradition und ihren Mythen ringen, sich zur Unabhängigkeit aufzuschwingen versuchen, die die Last abwerfen wollen, die sie niederbeugt. So ist es auch in Lustro i kamień (Spiegel und Stein), einem Werk-Prozeß, in dem die Problematik der Identifiktion des Individuums verknüpft wird mit der Frage nach der kulturellen Identität der Einzelwesen in Zeit und Raum. Und, damit wir uns nicht allzu wohl fühlen, fort und fort gegenwärtig ist darin die Frage nach der Gestalt unserer geistigen Tradition. Bestimmt das, was uns beeinträchtigt, auch unseren Ursprung?

2. Solche Bücher lassen mich immer frösteln, ich stehe ihnen hilflos gegenüber, bin ich mir doch nur allzu sehr bewußt, daß ich, wenn ich sie auf die übliche Weise bespreche, ihr Gewebe zerstöre. Nichts läßt sich später dann noch retten. Vielleicht sollten Lustro i kamień daher besser postmoderne (oder dekonstruktive) Interruptisten, die vor Witz sprühen, vor Ironie funkeln, scharfsinnig in ihren Assoziationen und voller Einsprüche bei wortschöpferischem Gebalze sind, rezensieren... Da es jedoch nun einmal ist, wie es ist, mag es auf alte, traditionelle, unzulängliche Weise von statten gehen. Eine Rezension im alten Stil über die moderne "Nikiform", die vor den Augen meiner Seele vorbeigeglitten ist wie ein Schwarzweißfilm.

3. Ŕ tout seigneur tout honneur... Ryszard Przybylski sagt einleitend zu Lustro i kamień von den hermeneutischen Neigungen des Autors, daß diese durch den Geburtsort des/der Helden determiniert sind: "eines schlichten Naturells aus östlichen Randgebieten", Witold Sutułas und des Kommentators seiner Bekenntnisse, des Doktors der Wissenschaften Tadeusz Komendant, der "im Spiegel gelehrten Wissens" den Wunsch hat, "bei Gelegenheit den Reflexionsmechanismus zu untersuchen" (S. 5). Przybylski schreibt darüber so:
"Die kulturellen Wurzeln wachsen [...] zwischen den Texten. Jede Tradition braucht wenigstens zwei Burschen aus demselben Dorf, derselben Gegend, derselben Gemeinschaft. Infolgedessen haben wir diesmal zu allererst einen Text, der spontan, wie im Schlaf, geschrieben wurde, von einem, Wilden‘ aus der Provinz. Im folgenden dann lesen wir den von einem Intellektuellen geschriebenen Text, der seine heimatlichen Gefilde verlassen, sich an Universitäten von Hauptstädten fortgebildet und kluge Bücher verschlungen hat, geschaffen von den Leuchten europäischer Kultur eben zu dem Zweck, daß er den Sinn der Erfahrung entdeckte, wie sie sein Landsmann niedergeschrieben hat" (S. 5).

Und weiter heißt es: "Komendant macht mit Freuden die Entdeckung, daß die Denknormen des ,schlichten Naturells‘, die ihm aufgenötigt werden durch die in der Provinzgemeinschaft verbindlichen Normen, sich decken mit dem Modellverhalten der Helden nationaler Meisterwerke. Das Wissen um die Kultur bestätigt auf diese Weise die überaus seltsame, beinah übernatürliche Wechselbeziehung zwischen dem Jungen aus einem gottverlassenen Nest und dem mythischen Protagonisten der Gemeinschaft. Das, was durch den Mythos in den Himmel gehoben wurde, reckt seine Wurzeln in die Dorferde, die rückständige Provinz. Der Hermeneut entdeckt dann, daß es zwischen dem heutigen Leben und der Wahrheit des romantischen Mythos keinen Hiatus gibt; daß die Historie eines jeden zeitgenössischen Menschen die Literatur ist" (S. 6).

Krzysztof Rutkowski knüpft in seiner großartigen (wenn auch ein wenig schwadronierenden) Rezension von Lustro i kamień (Komendant, czyli śmierć i zmartwychwstanie Pana Tadeusza [Komendant, Oder Tod und Auferstehung des Herrn Tadeusz], "Twórczość" 1995, Nr. 5) an Przybylskis Worte an, indem er die folgenden wichtigen Sätze hinzufügt: "Ich spürte, daß die Entdeckung des ,Hermeneuten‘ auf noch mehr beruht: vielleicht darauf, daß der Hermeneut angesichts der Erfahrungen des Körpers und des Wahnwitzes der Ratio, der Sinne und Traumgebilde nicht minder ratlos dasteht als Gustaw aus Pokośno. Pamiętne dni przeszłości (Die denkwürdigen Tage der Vergangenheit) schweben über uns allen" (S. 106). Und weiter: "Komendants Essay erzählt von dem verlorenen ,kleinen Vaterland‘: jeder von uns hat es verloren, ähnlich wie die Unberührtheit - je schneller, um so besser... Es erzählt von der großen Liebe und von den großen Enttäuschungen: durch Vaterland, Muttererbe und Literatur. Es spricht demzufolge von Dingen, die ein schlechter Stilist den ,Eckstein‘ eines jeden Lebensweges nennen würde" (S. 107).

Krzysztof Uniłowski hat mich - im privaten Gespräch - aufmerksam gemacht auf die Rivičre-Provenienz von Lustro i kamień. Der Band "Literatura na Świecie" (1988, Nr 6), in dem Tadeusz Komendants Übertragungen des Bekenntnisses des Mörders Pierre Rivičre und auch der Kommentare dazu von Jean-Pierre Peter und Jeanne Favret sowie Michel Foucault veröffentlicht sind, scheint sich in der Tat nahtlos anzuschließen an die besprochene "Nikiform". Lustro i kamień nähme also aus Geist und Schule Foucaults seinen Anfang.

Entfalten wir doch diesen letzten Gedanken. Der Kommentar Tadeusz Komendants zu Pamiętne dni przeszłości von Witold Sutuła ist von der gleichen Art. Wie die Anmerkungen Peters, Favrets und Foucaults zum Geständnis Pierre Rivičre. Es existiert sogar eine Ähnlichkeit bei den Bezeichnungen der Paragraphen des Essays von Peter und Favret und den Scholien Komendants. Die aufzählenden Titel ersterer lauten: "Monster, gleiche"; "Gerichte, Launen"; "Blut, Schrei" u. dgl. Und bei Komendant: "Moden, Haus"; "Pflaster, Druck"; "Garten, Gericht" und dgl. Komendant, ein Mann des Diskurses, geht, das Bekenntnis der schlichten Seele Witold auffindend, mit ihm genauso um wie die Kritiker der Foucaultschen Schule mit dem Bekenntnis der schlichten Seele Rivičre. Die ius fruendi ist in beiden Fällen Entdeckerrecht, doch zugleich ist sie die Schuldigkeit des Entdeckers. Nein, das ist falsch ausgedrückt: Sie ist seine Notwendigkeit, in gewissem Sinne eine rücksichtslose Notwendigkeit. Damit ist die Ähnlichkeit auch schon zu Ende. Von diesem Punkt aus geht jeder seines Wegs.

4. Ich weiß nicht, ob Pamiętne dni przeszłości des Witold Sutuła aus Pokośno ein echtes Tagebuch ist oder ein fiktives. Die Märznummer von "Twórczość" aus dem Jahr 1992 ist mir abhanden gekommen, wo man zum erstenmal ein Buch von Komendant abgedruckt hat, ich kann folglich nicht nachprüfen, was mir in Gedanken vorschwebt, nämlich daß dort Seiten eines echten Heftes publiziert waren. Letztendlich ist das auch ohne die Erfahrung des Privaten, die intime gegenseitige Abgängigkeit dessen, der aufs neue die authentischen (oder von ihm erdachten) Notizen eines authentischen (fiktiven) Menschen liest, zu dem, der nur im Raum einer wirklichen (fiktiven) Welt existieren kann. Keine andere Relation hat hier Daseinsberechtigung. Diese ist übergeordnet und einzig.

Komendant folgt Sutułas Spur, entfernt sich aber auch weit von ihr. In dem Raum, der ehemals auch der seine war, sucht er sich selbst und sucht die Zeichen der Kultur, die deren zivile, neuzeitliche und europäische Form bestätigen. Komendants Scholien sind so zerrissen wie Sutułas Aufzeichnungen. Die einen wie die anderen mit dem Wissen um Entwurzelung, Unbehaustsein (vgl. S. 62-63), versuchen aufs neue Wurzeln zu fassen, wenn nicht in der alten Welt, so doch wenigstens im Mythos jener Welt. Im Schreiben. Die Pointe des Scholium "Falte, Szene" ist hier bedeutungsvoll: "fast jeder von uns hat ein kleineres Vaterland verloren, die Heimat. Bewußt oder unbewußt, nach Schicksals Willen oder aus eigener Dummheit. Und er weiß, daß man nur schreibend, wie ich das in diesem Augenblick tue, es vielleicht zurückerlangen kann" (S. 90).

5. Das Schreiben. Witold Sutuła schreibt seine Biographie, und wenn diese für ihn irgend einen Sinn hat, dann liegt dieser im Schreiben, in der Abstimmung des Standpunkts zwischen dem, was man sagte oder hörte (denn die Sprache spielt hier eine ebenso wichtige Rolle wie die Schrift), und dem, was man erinnert, was man in Erinnerung behalten will und was man unbedingt schriftlich fixieren möchte. Die eigene Biographie unterscheidet sich nicht sehr von Najnowocześniejsza sztuka świata w trzech aktach. Rok 1939-1945 (Die modernste Kunst der Welt in drei Akten. 1939-1945), von der Komendant sagt, daß "(sie) an das in eine Form gefaßte Gedächtnis zu denken befiehlt" (S. 91). Diese Form taucht hier unablässig auf, und wie sollte man nicht einverstanden sein mit der Supposition, daß Witolds Welt einfließt in den Rhytmus des vierten (Witolds Liebe zu Zosia) und dritten (Najnowocześniejsza sztuka...) Teils der Ahnenfeier. "Nicht nur der Faden der Schrift, dünner als eine Spiegeloberfläche, stopft die gewendeten Welten", pointiert Komendant in seinem Scholium (S. 101), um an anderer Stelle zu sagen, daß das alles eine theatrale Lösung des Konflikts" ist (S. 88).

6. Die Literatur. "Witold wurde von der Literatur verehrt. Einer unschuldigen, wie er. [...] für gewöhnlich entsteht kein neues Leben daraus, sondern Vernichtung" (S. 81). Witold tritt ein in den Raum literarischer Kultur, die er nicht kennen konnte; dennoch tritt er ein, findet die subkutanen Falten wieder, die ihn mit den Vergangenheitserfahrungen verbinden. Die Konfession beginnt auf der Veranda der Mickiewiczs und endet im Haus der Sienkiewiczs. Komendant kommentiert das so: "Namen, die in der geschilderten Welt real existieren (aber warum eigentlich die?), sind wir als symbolisch zu entziffern geneigt, mit dieser Leserentscheidung bestätigend, daß der Text einer anderen Logik unterliegt" (S. 87). Vielleicht der: vom Drama der Existenz (Liebe zu Zosia) über die Stärkung der Herzen (Najnowocześniejsza sztuka...). Das aber ist nicht mehr allein der Mickiewicz der Ahnenfeier, sondern das ist auch Sienkiewicz, durch Gombrowicz gefiltert.

Die literarischen Bezugnahmen sind hier vielfältig. Tadeusz Komendant, eigentlich Urheber dieses ganzen Wirrwarrs mit Witold, fügt alle Augenblicke neue Namen in seine Kommentare ein. Und indem er die Assoziationskette in Gang setzt, führt er uns in Welten ein, die Witold nur träumen konnte, während sie sich dem Gelehrten als Kraft der Erinnerung, der Reminiszenz von Lektüre u. dgl. offenbaren. Zwischen dem "schlichten Naturell" aus Pokośno und dem eloquenten Editor kommt es zu einem besonderen Beziehungsgeflecht. Er wäre nicht jenes "schlichte Naturell", wenn nicht die Hartnäckigkeit des Kommentators wäre, aus seinem Landsmann eine Persönlichkeit in statu nascendi zu machen; hinwiederum gäbe es dieses Buch nicht, wenn da nicht jenes "schlichte Naturell" wäre, das primum mobile des ganzen Geschehens...

7. Es ist ein sehr gescheites Buch. Geschrieben für einen Leser, der seinen Platz in der Kultur kennt, doch vielleicht treiben ihn Fragen nach der Beständigkeit der eigenen Identifikation, der Identität um. Neben Krótka historia pewnego żartu (Kurze Geschichte eines gewissen Scherzes) von Stefan Chwin, Paweł Huelles Weiser Dawidek, ist Lustro i kamień ein weiteres (Generations-) Buch über die Problematik des "kleinen Vaterlands". Das heißt in letzter Konsequenz - ein Buch über uns.

Tadeusz Komendant: Lustro i kamień. Prywatny sylogizm (Spiegel und Stein. Privater Syllogismus). Einleitung Ryszard Przybylski. Kraków: Oficyna Literacka 1994.

Aus dem Polnischen von Karin Wolff

akisiMarian Kisiel - geb 1961. Literaturkritiker und -historiker (polnische Literatur des 20. Jhs.). Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für die Literatur der Gegenwart der Schlesischen Universität. Autor der Abhandlungen: U podstaw twórczości Adama Czerniawskiego (Die Grundlagen des Werks von Adam Czerniawski), Gliwice 1991; Świadectwa, znaki. Glosy o poezji najnowszej (Zeugnisse, Zeichen. Glossen zur jüngsten Lyrik), Katowice 1998; Od Różewicza. Małe szkice o poezji. (Von Różewicz. Kleine Skizzen über die Poesie), Katowice 1998. Mitarbeiter von vielen lokalen und überregionalen Zeitschriften. Leiter der Abteilung für Literaturkritik der Kattowitzer Zeitschrift "Śląsk". Veröffentlichte vier Gedichtbände. Sein Forschungsgebiet sind die Veränderungen in der polnischen Literatur der Kriegs- und Nachkriegszeit und die literarische Kultur dieser Zeit. Gegenwärtig arbeitet er an einer Abhandlung über das literarische Bewußtsein in Polen inder Zeit des politischen Umbruchs 1956. Lebt in Katowice.

Die literarische Vierteljahreszeitschrift "FA-art" wurde 1988 von einer Studentengruppe gegründet, die mit dem schlesischen Kreis der pazifistischen Bewegung Wolność i Pokój (Freiheit und Frieden) verbunden war. Anfangs erschien die Zeitschrift im sog. zweiten Umlauf, d.h. außerhalb der Zensur. Ein Jahr später übernahm Cezary Konrad Kęder die Redaktion und die Titelrechte. Er gab der Zeitschrift ihre eindeutig literarische Richtung, auch wenn Literatur schon im ersten Heft ein wichtiges Thema war.
    Der Systemwechsel in Polen, der mit den Wahlen vom 4. Juni 1989 einsetzte, war für das literarische Leben von großer Bedeutung. Die Aufhebung der Zensur, Änderungen der Rechtslage, die Unbeweglichkeit staatlicher Verlage, die auf einmal ihrer Subventionen beraubt waren, der Untergang des Monopolisten im Buchvertrieb, das Ende vieler staatlich subventionierter Zeitschriften - all das förderte die Entstehung neuer literarischer Institutionen. Um so mehr, als es nur wenige der Verlage und Zeitschriften, die mit der Opposition der achtziger Jahre verbunden waren, schafften, sich unter den neuen Bedingungen institutionell anzupassen. Am besten kamen die Neulinge zurecht, die im ganzen Land Zeitschriften ins Leben riefen und dabei häufig von den lokalen Behörden finanziell unterstützt wurden. Eine wichtige Rolle spielte auch die stereotype Erwartung, daß die gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen auch Veränderungen des literarischen und künstlerischen Lebens begünstigen würden. Sowohl die Kritik als auch das Publikum zeigte Interesse an den Debütanten, und suchte bei ihnen den Beleg für die Wende in der Literatur, die wiederum eine Bestätigung für die politische Zäsur sein sollte.
    Die wichtigste Rolle in der jüngsten polnischen Literatur spielten die generationsspezifischen Zeitschriften, die bereits Mitte der achtziger Jahre entstanden waren und schon bald ihr jeweils eigenes Profil entwickelten, auch wenn sie damals noch im zweiten Umlauf erschienen ("bruLion" aus Krakau und - weniger ausgeprägt - "Czas Kultury" aus Posen). "FA-art" war zu diesem Zeitpunkt nur eine von den vielen studentischen Literaturzeitschriften mit einem nicht allzu großen Wirkungskreis. Bis 1992 gelang es, gerade fünf bescheidene Nummern mit literarischen bzw. kritischen Texten herauszugeben. Finanziert wurden sie überwiegend von den Redakteuren selbst. Aber gerade in diesen Jahren bildete sich das Redaktionsteam und das Programm der Zeitschrift heraus. Seit 1992 erscheint "FA-art" nun regelmäßig.
    Das erste Heft, das auf größeres Interesse stieß, war wohl die Doppelnummer 2/3 von 1993 (12/13). Außer Cezary K. Kęder waren damals in der Redaktion: Marcin Herich, Stanisław Mutz und Krzysztof Uniłowski. Zu den engsten Mitarbeitern gehörten Piotr Czakański-Sporek und Dariusz Nowacki. "FA-art" betonte seine Besonderheit durch einen spezifischen Programmcharakter. Sehr schnell wurde bemerkt, daß es unter all den neuen Literaturzeitschriften, die Zeitschrift mit dem deutlichsten und konsequentesten Profil war, und das, obwohl die Redaktion nie ein Programm oder Manifest sensu stricto vorgestellt hat. Das war auch überhaupt nicht nötig! Das "Programm" war ein Ergebnis des Treffens einer Gruppe von Debütanten, die sich hervorragend verstanden. Es verbanden sie Sympathie und Interesse und sie ergänzten sich gegenseitig hervorragend.
    Eine Eigenheit der Zeitschrift war die starke Akzentuierung der Literaturkritik. Das war kein Zufall. Die Verbindungen zur Polonistik an der Schlesischen Universität waren immer sehr stark, wenn auch nie formaler Natur. Während die jungliterarische Kritik (wir nennen sie "jungliterarisch", wobei man unbedingt hinzufügen muß, daß es in den neunziger Jahren in Polen gar keine andere gab) durch eine personenbezogene Einstellung geprägt war, und ihr Diskurs in der Regel einen impressiven und intimen Charakter besaß, schlug "FA-art" die analytische Option vor, indem sie die Tradition des Strukturalismus mit den postmodernistischen Sympathien in Einklang zu bringen suchte. Auch das war etwas Neues. Die Postmoderne wurde in Polen erst in den neunziger Jahren zum Thema. In der Regel jedoch - sagen wir es euphemistisch - war man weder dem Begriff noch der Erscheinung selbst zugeneigt.     In der Symphatie für den Postmodernismus glaubt man gewöhnlich die eigentliche Besonderheit der Zeitschrift zu finden. Man muß klar sagen, daß dies keine zufällige Wahl oder gar Mode war (zur Mode wurde in Polen dagegen die Kritik am Postmodernismus - am häufigsten in feuilletonistischer Manier betrieben). Schlesien war höchstwahrscheinlich die einzige Region in Polen, wo eine Zeitschrift wie "FA-art" entstehen konnte. Schlesien hat selbst keine größeren literarischen Traditionen und bildet - infolge der langjährigen Innenmigrationen - in gesellschaftlich-kultureller Hinsicht einen spezifischen, inkohärenten Wirrwarr, in wirtschaftlicher Hinsicht aber wurde es für die Moderne… zum Denkmal. Schlesien hat auch eine administrative Eigenheit - die Grenzen zwischen den Städten sind gänzlich verwischt, sogar Kattowitz läßt sich schwer als kulturell-wirtschaftliches Zentrum der Region bezeichnen und ließe sich vortrefflich mit der Wurzelstock-Metapher beschreiben. An Paradoxen mangelt es hier nicht: Den heute wirtschaftlich und kulturell integralen Teil von Schlesien bildet das Dąbrowskie-Becken, das einmal zum russischen Teilungsgebiet gehört hat und seine eigene kulturelle Spezifik sowie andere politische Traditionen besitzt. "FA-art" konnte zwischen einer regionalistischen und einer postmodernistischen Option wählen. Es sollte nicht verwundern, daß die Entscheidung intuitiv auf die zweite fiel, da es in der Sprache (im Polnischen oder in der Mundart) nicht einmal ein Wort gibt, mit dem die Identität der Mehrheit der Redaktionsmitglieder bezeichnet werden könnte. Wir sind keine Schlesier, aber wir sind auch keine Zugezogenen, keine "gorole" - wie die Schlesier die zugewanderte Bevölkerung nennen.
    Währenddessen erfreut sich im literarischen Leben Polens der neunziger Jahre aber gerade der Regionalismus einer besonderen Gunst - in der Regel handelt es sich dabei um einen proeuropäischen Regionalismus (dieVision von einem Europa der Heimatländer), der die Vorteile der Vielfältigkeit betont, und den Dialog der Kulturen und lokalen Traditionen befürwortet. Wenn "FA-art" dieser Option in gewissem Sinne polemisch gegenübersteht, dann liegt das am kritischen Verhältnis zum Begriff der Identität, die eine metaphysische Beziehung zwischen dem "Ich" und dem Sein, sowie dem Sein, dem Ort und der Wahrheit herstellt. Daher stehen wir der sog. "Heimatliteratur", die nach Meinung vieler Kritiker die bedeutendste literarische Strömung in der polnischen Literatur der neunziger Jahre darstellt, skeptisch gegenüber.
    Um die Mitte der siebziger Jahre machte sich im polnischen literarischen Leben eine Abkehr von den neuen (neoavangardistischen) Tendenzen bemerkbar. Das Ansehen solcher Dichter wie Czesław Miłosz, Zbigniew Herbert oder Tadeusz Konwicki wuchs auf Kosten der Popularität von Autoren wie z.B. Tadeusz Różewicz. Im Fieber der politisch-kulturellen Debatten der achtziger Jahre wurden Schriftsteller mit innovatorischen Ambitionen ziemlich abwertend als "Soz-Parnassianer" bezeichnet. Niemand stellte ihren künstlerischen oder intellektuellen Rang in Frage, sie wurden jedoch als veraltet verworfen und in die Literaturgeschichtsbücher verbannt. Die Debütanten der neunziger Jahre, die generell das im Jahrzehnt zuvor geltende Verständnis von dem, was Literatur zu leisten habe, ablehnten, suchten ihre Meister und Schutzherren unter den fremden Schriftstellern (wie z.B. Lyriker der New Yorker Schule, vor allem Frank O’Hara). Wir erinnerten in unserer Zeitschrift dagegen an die Leistungen der größten Vertreter der polnischen neoavangardistischen Literatur - an Tymoteusz Karpowicz, Witold Wirpsza, Miron Białoszewski, Teodor Parnicki… Wenn man in der Geschichte der polnischen Literatur weitergeht, stellen sich die meisten meiner Zeitgenossen an die Seite von Bruno Schulz (Renaissance der mythographischen Prosa), wir dagegen - an die Seite von Witold Gombrowicz. Die Literaturkritik nahm die Debüts der siebziger und achtziger Jahre, deren Autoren sich bemühten, avangardistische literarische Strategien zu entwickeln, sehr ungnädig auf. Diese Wertung aus der gar nicht fernen Vergangenheit wurde von unseren Zeitgenossen in der Regel übernommen. Umso mehr, als es dadurch leichter ist, sich selbst als etwas ganz Besonderes darzustellen. Und wieder, "FA-art" erinnert gerne an die damaligen Werke (von denen manche schon postmoderne Züge tragen), ohne den allgemeinen - vorgetäuschten oder echten - Gedächtnisschwund hinsichtlich der jüngsten Literatur zu akzeptieren, und ohne sich mit der großen These von dem "schwarzen Loch in der polnischen Prosa der achtziger Jahre" einverstanden zu erklären.
    Es sollte also nicht verwundern, daß die Zeitschrift - obwohl sie mit ihrer Geschichte selbst zum Phänomen der 60er-Generation gehört - den Leistungen ihrer Altersgenossen gegenüber eine kritische Distanz wahrt. In unseren Spalten haben wir mit der These einer ästhetischen Zäsur des Jahres 1989 polemisiert. Genauso stellten wir auch die Überzeugung in Frage, die "Jungen" unterschieden sich von ihren Vorgängern, indem sie neue Qualitäten anbieten oder neue literarische Erscheinungen anregen würden.
    Es war das große Glück von "FA-art", daß sich unter den Redakteuren und Mitarbeitern der Zeitschrift auch ein paar begabte Kritiker befanden. Sie wußten die neuen methodologischen Impulse zu nutzen, und für einen erkennbar eigenen Stil und unabhängige Urteile in ihren Texten zu sorgen. Parallel zum Auftritt der Debütanten in den neunziger Jahren gab es glücklicherweise eine interessante Bewegung in der Literaturkritik. "FA-art" spielte dabei eine beachtliche Rolle und zog im Laufe der Zeit auch Autoren an sich, die sonst mit anderen Titeln und anderen Kreisen verbunden waren; und zwar sowohl Kritiker als auch Lyriker oder Prosaiker.
    Die vorliegende Ausgabe unserer Vierteljahreszeitschrift bringt eine Auswahl der literarischen und literaturkritischen Texte, die zum großen Teil schon einmal bei uns publiziert wurden. Einer möglichst großen Verständlichkeit zuliebe, haben wir sie z.T. etwas gekürzt. "FA-art" hat den Ruf, eine ehrgeizige und schwierige Zeitschrift zu sein. 1996 verglich Arkadiusz Bagłajewski, Chefredakteur der Lubliner Vierteljahreszeitschrift "Kresy", unsere Zeitschrift mit der angesehenen, literaturwissenschaftlichen Fachzeitschrift "Teksty Drugie", die vom Institut für Literaturwissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. Nun, wenn in dem Vergleich ein bißchen Wahrheit steckt, ist das für uns ein Kompliment. Man muß auch gleich hinzufügen, daß ein Vergleich mit den "jungliterarischen" Zeitschriften, die dem Ethos und der Poetik der art-zin entstammen, ebenfalls möglich wäre. Allem Anschein zum Trotz kann man - so hoffen wir - das Akademische mit der Gegenkultur verbinden. In Zeiten der Massenkultur ist so eine Verbindung vielleicht sogar ganz natürlich.
    Ist "FA-art" eine schwierige Zeitschrift? Nein, wir betreiben keine l’art pour l‘art - das, was Kritiker der Zeitschrift als elitäre Züge einstufen, ist schlicht das Ergebnis einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den besprochenen Problemen und kommentierten Büchern, resultiert aus dem Mißtrauen und Widerwillen gegen triviale, publizistische Vereinfachungen. Dabei vergessen wir nicht, daß die Literatur und das Schreiben über die Literatur auch eine Unterhaltungsfunktion haben.
    Das Heft, das Sie in Händen halten, wurde so vorbereitet, daß es in seinem literarischen und kritischen Charakter, in seiner Redaktion und graphischen Gestaltung das Profil unserer Zeitung widerspiegelt. Zugleich wollten wir die nach unserer Meinung wichtigen literarischen Erscheinungen und Debatten der letzten Jahre vorstellen. Aus diesem Grund drucken wir in einigen Fällen (mit der freundlichen Erlaubnis unserer Freunde und Mitarbeiter) Texte, die zuvor in anderen Zeitschriften erschienen sind.
    Außerdem stellen wir einige Prosatexte in Auszügen vor, die entweder von unserer Zeitschrift veröffentlicht oder dort ausführlich besprochen und empfohlen wurden. Wir hoffen, daß diese Publikation dazu beiträgt, das Bild von der jüngsten polnischen Literatur zu vervollständigen, und es den interessierten Lesern ermöglicht, Einblicke in Charakter und Klima des polnischen literarischen Lebens zu gewinnen.
Czytany 13536 razy Ostatnio zmieniany poniedziałek, 19 październik 2015 22:23

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