Postmodernismus ante portas! So beschreibt Przemysław Czapliński seinen Sturm auf die Festung der polnischen Prosa:
"Im Zeitraum von 1989-1993 reifte in der polnischen Literatur die Strömung der Postmoderne heran. Sie nahm unterschiedliche Gestalt an: Traditionsanalyse als Textgeflecht (M. Porębski, Z. Po-wieść (Z. Nach-Erzählung) 1989; A. Bart, Rien ne va plus, 1991), historiosophische Satire (S. Chwin, Krótka historia pewnego żartu [Die kurze Geschichte eines Scherzes] 1991), groteske Degradierung von Massenideologien gegenüber der nicht reduzierbaren Unscheinbarkeit des singulären Lebens (M. Gretkowska, My zdies emigranty [Wir sind hier Emigranten] 1991), ostentatives Ansiedeln der Biographie seiner Kindheit außerhalb politischer und historischer Grenzen (P. Huelle, Weiser Dawidek, 1987; Opowiadania na czas przeprowadzki [Schnecken, Pfützen, Regen und andere Geschichten aus Gdańsk] 1991), Metaphysik, geschaffen auf der Basis von Nichtigkeit und Leere (K. Myszkowski, Pasja według świętego Jana [Johannespassion] 1991), Auffinden einer Antiutopie außerhalb des Geltungsbereiches der Spielregeln, die durch die Gesellschaft festgelegt wurden (A. Stasiuk, Mury Hebronu [Die Mauern von Hebron] 1992)."1
Dies sieht ganz imposant aus. Leider kann man aber nur die zwei Positionen an der Spitze dieser Liste, die historiographischen Metaerzählungen von Porębski und Bart (es trennt sie übrigens - zugunsten von Z. - mindestens eine schriftstellerische Klasse), ohne größere Vorbehalte als postmoderne anerkennen. Daß in den übrigen Fällen eine solche Einstufung größere Zweifel wecken muß, beweisen die kurzen Rezensionen von Czapliński selbst (im Lichte dessen, was der Kritiker sagt, wäre es völlig gerechtfertigt, sie als moderne anzuerkennen), es sei denn, wir verstehen Postmodernismus als Begriff zur Festlegung der gegenwärtigen (welche wäre das wohl?) Kultur und des Bewußtseinszustandes. Dann könnte als postmoderne einfach alle Literatur durchgehen, die mit eben dieser Kultur ringt, indem sie sie auf kritischste Weise darstellt. Das Problem besteht darin, daß man dann Czaplińskis Liste sogar um den Helden aus dem Buch des Posener Kritikers (d.h. um Tadeusz Konwicki) erweitern müßte, wodurch der Begriff der Postmoderne jegliche operative Bedeutung verlöre und einfach zur Bezeichnung polnischer Literatur der letzten sieben Jahre verkäme - unter der höchst diskussionswürdigen (für mich unhaltbaren) Annahme, daß diese Literatur sich grundlegend von der Literatur von vor 1989 unterscheide.
Warum dem Terminus eine solch breite Bedeutung gegeben wird, verstehen wir, wenn wir erkennen, daß es hier um die terminologische Begründung eines vermeintlichen Umbruchs geht. Selbst wenn der Umbruch eine Hypothese bleibt, so scheint er, näher festgelegt und benannt, realere Gestalt anzunehmen. Ganz offensichtlich liegt hier Wunschdenken zugrunde. Der Umbruch des Jahres 1989 als postmoderner Umbruch in der polnischen Literatur - das klingt schwerwiegend und furchteinflößend. Bald stellte sich jedoch heraus, daß die Werbewirksamkeit dieses Begriffs eher mager ausfällt. Im Gegenteil sogar - bezahlt machte sich die Distanzierung von der Erscheinung und dem Begriff, zumindest der verbale Abschied von der postmodernen (?) Nivellierung (?) jeglicher Werte (?).
Dem Begriff gelang es trotzdem, sich in der Sprache polnischer Literaturkritik einzunisten, obwohl er hier einen eigenartigen Lebenswandel führt. Während die Literaturwissenschaftler ihm seine angelsächsische Herkunft und die Tatsache übelnehmen, daß er (und das ist sehr gut) die bisher anerkannte Periodisierung durcheinandergebracht hat, sind die Kritiker ihm wegen des Verdachts gram, daß die ganze Sache in ein mieses literarisches Kabarett ausarten könnte. In Rezensionen häufig anzutreffende Beschreibungen wie "postmoderne Spielchen", "postmoderne Spielereien", "postmodernes Klimbim" sind das beste Beispiel dafür.
So existiert in der Kritik das Stereotyp, wonach Postmodernismus in der Literatur und Kunst eine gefährliche, destruktive Ideologie sei, unterfüttert mit Nihilismus, Permissivismus, Relativismus und Konsumismus. In letzter Konsequenz sollen die Postmodernisten danach streben, die schöpferische oder intellektuelle Arbeit jeder Erhabenheit und jedes Sinns zu berauben. Hier steigen wir in den Ring ideologischer Debatten. Es geht darum, daß der Postmodernismus im Gebäude der Überzeugungen, das den Kern unserer kulturellen Tradition in Frage stellt. Sein Krebsgeschwür entwickelt sich auf dem besonderen Nährboden der geistigen Leere, jener so schwer überwindbaren Altlast der Volksrepublik Polen. Dies ist der wichtigste Grund, weshalb das Phänomen die Umbenennung in Soz-Postmodernismus verdient.
Mit den Augen der unversöhnlichen Kritiker gesehen, ist Postmodernismus eine künstlerische und intellektuelle Hochstapelei, eine Angeberei - eine Erscheinung, die einzig Verachtung verdient. Sie ist so wenig ernstzunehmen, daß die Emotionen verwundern, mit denen die Tinte auf den Galgen der Nachneuzeit verschwendet wird. Einfach schade um die Zeit, die man aufwendet, um diese Lüge zu demaskieren, die sich - wie hartnäckig wiederholt wird - von selbst bloßstellt. Dies ist mitnichten kein Zufall: Der Diskurs der sogenannten polnischen Neokonservativen braucht einen gefährlichen Feind so wie die Luft zum Atmen. Dieser Feind ist die einzige Daseinsberechtigung für den Diskurs. Fehlt der Sündenbock, taugt auch der Postmodernist.
Daher rührt auch die Dämonisierung dieser Erscheinung, die im polnischen literarischen und intellektuellen Leben eine untergeordnete Rolle spielt. In Wahrheit ist es schwer, einen Kandidaten zu finden, der für sich selbst die Qualifikation als polnischer postmoderner Autor einfordern würde. Aber gerade darin - schenkt man den diletantischen Geisterfängern Glauben - offenbart sich das Dämonische des Postmodernismus. Es dringt unbemerkt in unsere Atmosphäre ein, ergießt sich aus dem Satellitenfernsehen, den Computerspielen, der Reklame, der populären Presse und den Supermärkten. Dieser Dämon bewirkt, daß die Überzeugung illusionär bleibt, man könne Derrida einfach so lesen. Deshalb auch werden Kommentatoren oder sogar Kritiker des Postmodernismus, die ihrem eigenen Empfinden nach neutral sind, als verpestet wahrgenommen. Indessen hilft alles Säbelrasseln (pro wie contra) wegen des Wortes "Postmodernismus" an sich nichts, solange der Terminus mit literarischen Scharaden gleichgesetzt wird (Rat mal Liebling, woher stammt dieses Zitat, worauf bezieht sich wohl diese Anspielung...), und mit der Affirmation des Chaos, des Nihilismus und mit der Übertragung von Elementen der für Massenkultur typischen Ästhetik auf den Boden der Literatur. Der Begriffseinführung muß eine gründliche Reflexion über die heimische Moderne vorausgehen, weil man erst auf dieser Grundlage Dinge betrachten kann, die als postmodern gelten. Statt dessen verfolgt die Debatte um den Postmodernismus in Polen das Ziel, dem heimischen Publikum das Gedankengut der internationalen Klassiker - Philosophen, Ästhetiker und Kulturtheoretiker - zu vermitteln. Daher rühren auch zahlreiche Anthologien von Übersetzungen und Sammelbände, deren Autoren die Konzeptionen von Lyotard, Rorty, Bauman, Vattimo, Welsch und anderen referieren und kommentieren. Der eigenständige Beitrag beschränkt sich hier meist darauf, den vorgestellten Denker kritisch zu glossieren oder gegen andere Auslegungen zu polemisieren. Die Liste der Werke, die sich selbst der Mühe unterziehen, postmoderne Ästethik zu beschreiben, fiele schon wesentlich bescheidener aus. Darstellungen aus allgemein-kulturellem Blickwinkel überwiegen im Vergleich zu Reflexionen zu den einzelnen Disziplinen der Kunst. Nicht anders bei den literaturwissenschaftlichen Ausarbeitungen: Sehr bitter, aber gerecht, bewertet Grzegorz Wołowiec die polonistischen und literaturkritischen Betrachtungen zur Postmoderne, wenn er schreibt:
"Ich denke, daß man sogar - mit nur geringer Übertreibung - davon sprechen kann, daß sich eine spezifische publizistisch-literarisch-wissenschaftliche Gattung herausgebildet hat: ,Der Text über die Postmoderne. Am Anfang einer so gearteten Darstellung erfuhren wir, daß Postmodernismus ein unklarer Begriff ist, außergewöhnlich breit abgehandelt, unscharf, verschwommen, mehrdeutig, kontrovers usw. Darauf folgten in der Regel einige Fakten aus der Geschichte dieses Begriffs [...]. Die weiteren Überlegungen galten für gewöhnlich der Moderne, die begrifflich ebenfalls unklar dargestellt wird, und je nach Ort verschiedene Deutung findet. Der Leser wurde auch immer informiert, daß die spezifisch polnische Rezeption zum Mißverständins führen muß. Begleitet wurde dies zumeist von der Frage, ob Postmoderne eine Negation der Moderne oder ihre modifizierte Fortsetzung sei. Weiter zählte man die Namen der Gründungsväter der Postmoderne oder eine Reihe von Stichwörtern auf, die das Klima der neuen Epoche wiedergeben: Abenddämmerung der großen Erzählkunst, Ende des Fortschrittsglaubens, Pluralismus, epistemologische und axiologische Unschärfe, Relativismus, Ironie. Nach einer solchen Einführung waren es nur noch wenige Autoren, die tatsächlich den Boden postmoderner Kunst betraten und den Versuch unternahmen, die neue Ästhetik, die schöpferischen Methoden und die bekanntesten postmodernen Schriftsteller vorzustellen."2
Deutlich zu sehen ist, daß die Kritiker zu dychotomischen Darstellungen neigen (was die Rückkehr zum modernistischen Bewußtsein beweist), die es früher gestatteten, zwischen Werken zu unterscheiden, die durch metaphysische und ethische Inhalte dominiert werden, und der avantgardistischen Literatur (der experimentellen, linguistischen, autothematischen). In eine solche Dychotomie eingebunden, nimmt die Postmoderne heute den Platz der Neoavantgarde ein, erscheint als ihre intellektuell verarmte Version, die der Massenkultur Zugeständisse macht. "Wir beobachten die ständige Gleichsetzung der [postmodernen - Zusatz K.U.] Kunst mit dem künstlerischen Experiment, und insbesondere mit dem Autothematismus. Das intertextuelle Spiel mit Zitaten und Konventionen, Pasticcio und Parodie gelten nach wie vor als bestes Rezept für ein postmodernes Werk"3 - bemerkt Wołowiec. Die aus dem letzten Jahrzehnt erworbene Abneigung gegen solche künstlerischen Haltungen und Präferenzen läßt uns dabei in dieser Erscheinung nicht so sehr die Fortsetzung der innovatorischen Tendenzen aus den sechziger Jahren sehen (diese wurden im polonistischen Bewußtsein wohl endgültig akzeptiert), sondern - lieber und häufiger - die erwähnte Tendenz zur Entartung, wofür in der herkömmlichen Meinung als bestes Beispiel das Werk der Prosaiker gilt, die mit der Warschauer Monatsschrift "Twórczość" verbunden sind.
Aus diesem Blickwinkel scheint die Postmoderne in Polen eine kurzlebige Mode zu sein, ein Nebeneffekt der gesellschaftlichen Veränderungen und des langsamen Anwachsens des Lebensstandards. Sie macht sich durch Änderungen im intellektuellen Klima bemerkbar, die sich zumindest aus der Rezeption der Werke und ihrer Übersetzungen ergeben. Auf diese Art und Weise dient das Phänomen einerseits als wichtiger Kontext, Schutzhülle oder Bestandteil der Atmosphäre, in der sich das polnische literarische Leben der neunziger Jahre entwickelt, stellt andererseits aber einen Fremdkörper dar, ein toxisches Implantat, mit dem Kontakt tunlichst gemieden werden sollte. Hoch im Kurs stehen beileibe nicht Diagnosen und Situationsanalysen, sondern malerische Gesten, die von Distanz und Besorgtheit zeugen sollen. So sieht die Postmoderne á la polonaise aus, eine Postmoderne ohne Postmodernismus.
Ich wage zu behaupten, daß zumindest in der polnischen Prosa die Postmoderne eine völlig reale Erscheinung ist. Mehr noch, die Tendenz selbst ist kein Kind der letzten Jahre, sondern schon fast zwanzig Jahre alt. Sofort aber muß man hinzufügen, daß sie als diskontinuierliche und nicht-kumulative Erscheinung auftritt, wobei Mal für Mal Initialgesten erneuert werden, deren Autoren häufig nach ein, zwei Büchern - aus verscheidenen Gründen - aus dem Blickfeld verschwinden. Hier fehlt das Umfeld in Form begleitender Kritiker, die - neben dem Schuldenregister - der Versuch reizen würde, die Spezifik dieser Prosa im Verhältnis zur neoavantgardistischen Tradition und zur Postmoderne in anderen Litaraturen aufzuzeigen. Es fehlt an Kritikern, die zeigen wollten und könnten, wie unterschiedlich innerhalb dieser Tendenz die Entscheidungen, die man in der Poesie und hinsichtlich der Problematilk getroffen hat, ausfallen können. Im Endeffekt gelang es der Erscheinung nicht, ihre Selbständigkeit durchzusetzen und die Position eines gleichberechtigten Teilnehmers am literarischen Leben zu erlangen. Die Sympathien der Kritiker neigten sich in eine andere Richtung, der Hinweis auf postmoderne Züge an einem Werk diente und dient häufig nur zur Begründung seiner Ablehnung oder wird - auch das kommt vor - in Form einer Denuntiation formuliert. Es verwundert nicht, daß die Schriftsteller selbst jegliche Erklärung wie das Feuer meiden, die sie in den Verdacht bringen könnte, sie seien Anhänger dieses unseeligen "-ismus".
Suchen wir die ersten Erscheinungen der Postmoderne in der Prosa des vorhergehenden Jahrzehnts, so ist zu bemerken, daß diese nicht nur in den Spalten der "Twórczość" zu finden sind. Unter den Autoren, die sich um diese Warschauer Zeitschrift gruppiert haben, ist besonders die Prosa von Krzysztof Bielecki hervorzuheben. Sein Debüt (Fistaszek [Die Pistazie] 1987) mißlang zwar, aber schon der im gleichen Jahr erschienene Erzählband Nie ma czarów, nie ma aniołów (Es gibt keinen Zauber, es gibt keine Engel) war ein sehr interessantes Buch. Im Jahre 1986 druckte "Twórczość" Bieleckis zweiten Roman End & Fin Company (Buchausgabe 1992), der - obwohl in der Konvention des Märchens geschrieben (ein deutlicher Einfluß von Gombrowiczs "konstruktiver Parodie") - als eines der interssantesten Werke gilt, die aus der Atmosphäre des Kriegsszustandes hervorgegangen sind. Postmoderne Züge lassen sich aber auch an Werken von Schriftstellern feststellen, die nicht aus dem Umfeld des Warschauer Monatsblattes stammen und der Gruppe "Twórczość" häufig mit Abneigung gegenüberstehen. Als Beispiel sei der sehr interessante Roman von Jan Tomkowski Opowieści Szeherezady (1988, Sheherasades Geschichten) genannt. Wie auch immer diese literarischen Unternehmungen bewertet werden, die Tatsache, daß sie zu einer Zeit entstanden sind, die so wenig förderlich war, ist Anlaß genug, sie mit um so größerer Aufmerksamkeit zu behandeln. Gerade deshalb fällt es schwer, von einer Zufälligkeit der Tendenz zu sprechen oder sie allein mit der Faszination der Werke amerikanischer Autoren (sowohl aus Lateinamerika als auch aus den USA) zu begründen. Ich würde zwei Hypothesen wagen: Als Ursache für die Erscheinung gäbe ich als erstes die Abneigung eines Teils der damaligen Debütanten gegenüber utilitären und ideologisch gekennzeichneten Haltungen und gegenüber dem Denken in vorgegebenen Axiomen an. Zweitens käme die Überzeugung ins Spiel, daß die von der modernen litararischen Kultur angebotenen Rollen des Schriftstellers aufgebraucht waren. Letzteres ist besonders zu unterstreichen, weil all das zu einem Zeitpunkt geschah, als die Temperatur der politisch-axiologischen Auseinandersetzng die Illusion von der gesellschaftlichen Erhabenheit der Literatur erzeugte. Zu bedenken ist allerdings, daß wir an dieser Stelle möglicherweise von den Intuitionen einiger Debütanten sprechen, nicht jedoch von einem herausgebildeten Programm. Die Bereitschaft jener Autoren des vergangenen Jahrzehnts, die man zur Postmoderne zählen könnte, ihren literarischen Standort festzulegen, war eher gering. Daran hat sich übrigens auch in den folgenden Jahren nicht viel geändert.
Auch wenn es keine dynamische und deutliche Erscheinung wurde, so gestattet es der zwanzigjährige Reifeprozeß, einige Veränderungen der Tendenz zu erfassen. Anfänglich dominierten entschieden solche Werke, die der seinerzeit von Robert Scholes reinterpretierten Erzählformel nahestanden, d.h. der Erzählung von einer Welt, die vom Erzähler bewußt so kreiert worden ist; der Erzähler tritt als Schöpfer auf, er verzichtet auf epische Prinzipien der Illusion der zeitlichen Abfolge von Erscheinungen in der Erzählung sowie der Mittelbarkeit in der Darstellung. Dies treffen wir auch in den letzten Jahren an - zum Beispiel Oko (Das Auge) von Zbigniew Batko (1992), Podróż do ostatniej strony (Reise zur letzten Seite) von Hubert Adamowski (1995) oder Księga zaklęć (Das Zauberbuch) von Andrzej Tuziak (1996). Zu Beginn des Jahrzehnts erhielten wir auch parodierende Varianten hoch konventionalisierter Romanformen: des historischen Romans (von Czapliński erwähnt - Rien ne va plus von Bart), des Künstlerromans (Pensjonat Barataria von Krzysztof Lipka, 1993), des Initiationsromans (Gniazda aniołów [Engelsnester] von Jarosław Gibas, 1995), was wiederum mit der Abart der Postmoderne, die in der deutschen Literatur verbreitet ist, in Zusammenhang gebracht werden könnte. Einige Autoren nutzten die Strategie der Kontamination oder des Zusammenpralls verschiedener Sprachpraktiken (die Mikroerzählungen von Natasza Goerke aus den Bänden Fractale, 1994, sowie Księga pasztetów [Das Buch der Pasteten] 1997). Erst unlängst trafen wir auf eine Prosaformel, die es - trotz der einen oder anderen Ähnlichkeit - schwermacht, sie zu anderen fremden Mustern in Bezug zu setzen. Vorreiter war Das Terminal von Marek Bieńczyk (1994). Später erschienen die Debüts von Marek Kędzierski (Bezludzie [Einöde] 1995), Zbigniew Kruszyński (Schwedenkräuter, 1995), Cezary K. Kęder (Antologia twórczości postnatalnej [Anthologie eines postnatalen Schaffens] 1996) und Piotr Grzesik (Na przedmieściach [In den Vorstädten] 1997). Bei allen Unterschieden in der Poetik (und sicher auch Unterschieden im künstlerischen Rang) ist diesen Büchern der erwähnten Autoren eine ähnliche Konzeption des Schreibens, des Textes sowie des Sender-"Ichs" gemeinsam.
Sollte ich heute, Ende 1997, sagen, was die polnische postmodern gekennzeichnete Prosa an Neuem und Interessantem zu bieten hat, würde ich mich folgendermaßen äußern: Sie übermittelt eine diametral entgegengesetzte Vision der menschlichen Kondition, die sich hierzulande nicht in den Kategorien der Identität fassen läßt. Es geht hier nicht mehr um die Überwindung der Verschiedenheit (oder ihre Bestätigung), nicht um das Aufzeigen irgendeines festen Punktes. Es geht um die eigene Fortbewegung im dynamischen Netz interpersonaler Relationen, im Rahmen des Systems der Unterschiede. Das "Ich" (genauer "mir") wird durch die Position festgelegt, die ich gegenüber verschiedenen Partnern einnehme, wobei sich diese Positionen nie summieren. Sie bilden eine diskontinuierliche Reihe oder unterscheiden sich sogar untereinander. Relativismus? Zumindest (Relativismus ist eine der modernen Haltungen) gibt es hier keinen Platz für jenes "Etwas", welches der Relativierung unterliegen sollte. Es gibt hier keinen Platz, weder für Identität noch für ihr Fehlen, wo doch "ich" ("mir", "mich", "mit mir", "über mich") unaufhörlich - bei jeder weiteren Fortbewegung - re-situiert wird. Überhaupt gibt es keinen Ruhepunkt, nur Fortbewegung.
In der denkwürdigen Skizze 1905, nie 1918 (1905, nicht 1918) schrieb Tomasz Burek vor Jahren: "Die Revolution von 1905 offenbarte eine Tatsache von grundsätzlicher Bedeutung [...] in ihrem Ergebnis erfuhr die polnische Bevölkerung, daß sie sich von sich selbst unterscheidet, daß sie also eine moderne Gesellschaft ist."4 Literatur, Kunst, theoretische Gedanken (also die Formen, in denen sich das Selbstbewußtsein dieser Gesellschaft ausdrückt) wurden damals, zumindest sollten sie dies werden, ein Gebiet für die Kritik an solchen Unterschieden. Ich denke hier, was augenscheinlich ist, an die vielfältigen Bedeutungen des Wortes Kritik, jedesmal mit dem Vorbehalt, daß Kritik nie die Aufhebung von Unterschieden bedeuten kann, was gerade Burek an der heimischen literarischen Kultur nach dem Jahr 1918 bemängelte.5 Die Postmoderne stellt sich dem Problem der Unterschiede anders gegenüber, erkennt darin die "prä-" oder vielleicht "sub-"-konstitutive Eigenschaft der Ordnung der Neuzeit. Man darf also nicht Unterschied mit Vielheit verwechseln, den Unterschied auch nicht auf die Rolle beschränken, theoretische Begründung für das Toleranzpostulat zu sein. Es geht um einen grundsätzlichen Wechsel der Optik, oder genauer gesagt darum, die Optik gegen Positionen (im Plural) auszutauschen. Vielheit ist Gegenstand der Moderne, die zugleich auf deren Sichtweise hinweist (z. B. Vielzahl der sich summierenden Sichtweisen, personelle Narration, zentrale und kollektive Perspektive des Autors). Postmoderne beginnt gemeinsam mit dem Gedanken, daß die Perspektive, aus der wir die Vielheit wahrnehmen, selbst eine von vielen Positionen und Standpunkten gegenüber der Vielheit ist.
In dieser Position bedeutet Postmoderne eine Radikalisierung des modernen Kritizismus (z.B. Kritik des Begriffs "Kritik", Kritik des kritischen Standpunktes oder Kritik des Subjekts der Kritik). Und nur so erscheint mir die Postmoderne beachtenswert. Ausschließlich durch das Prisma der Poetik beschrieben, kann sie immer in eine mehr oder weniger gelungene Stilisierung ausarten. Die Postmoderne als künstlerische Erscheinung, Strömung oder Tendenz sollte dann das Potential des "Post-Modernismus" nutzen, jener "Kraft, die die Moderne von innen perforiert".6
Postmoderne ohne Postmodernismus? Zumindest im Kommentar zum neuesten kritischen Buch von Jerzy Jarzębski verteidigt Przemysław Czapliński auf diese Weise die Erhabenheit der Versuche der jüngeren Prosaiker der neunziger Jahre: "Die neue Literatur ist nicht völlig des Wesentlichen beraubt. Um es zu bemerken, muß man jedoch die neuen weltanschaulichen Begründungen interpretieren, die die Rückkehr zur Fiktion begleiten und ebenso die Postmoderne entbanalisieren und aus dem neuen Kunstmythos die tatsächlichen - durchaus beachtlichen - Möglichkeiten herausholen."7 Die Sache ist klar, das Primat der Fiktion und Fabel kann über nichts entscheiden, nicht einmal über das Bestehen (oder Nicht-Bestehen) von Verbindungen zwischen Werk und Postmoderne.8 Man muß jedoch tatsächlich die Dychotomie neu durchdenken und "umschreiben", die es gewöhnlich zuläßt, daß der Spielerei und "Problemlosigkeit" der Postmoderne die Ernsthaftigkeit der Literatur entgegengestellt wird, die nach Identität und den unverzichtbaren Fundamenten der menschlichen Kondition (des einzelnen "Ichs", des Volkes, der Gesellschaft) fragt, und zwar so "umschreiben", daß ein Wettbewerb möglich wird zwischen der Literatur, die nach Quellen und Wurzeln, nach Prinzipien und Stabilität sucht, und der Literatur der Mobilität, Offenheit und Destrukturierung. Hier steckt wirklich die Chance zu einer interessanten und fruchtbaren Debatte. Auch wenn ich der Postmoderne mit einem gewissen Wohlwollen gegenüberstehe, verkünde ich nicht ihre Überlegenheit und behaupte nicht, daß postmoderne Literatur besser, interessanter und künstlerisch wertvoller sei - und dies nur deshalb, weil sie... eben postmodern ist. Ich denke nur, man sollte auch sie aufmerksam lesen und ihr Potential schätzen, das keinesfalls hinter konkurrierenden Richtungen zurücksteht.
Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann
Anmerkungen
1. P. Czapliński: Tadeusz Konwicki. Poznań 1994, S. 191-192.
2. G. Wołowiec: Recepcja postmodernizmu w polskiej krytyce i publicystyce literackiej. Wstępne rozpoznanie (Die Rezeption des Postmodernismus in der polnischen Literatur und der literarischen Publizistik. Einführende Bemerkungen). "Kultura Współczesna" 1996, Nr. 3-4, S. 18-19.
3. Ebd., S. 19. Die Recherche von Wołowiec kann man mit folgendem Auszug aus der Rezension von Mieczysław Orski illustrieren: "Vor Jahrzehnten und sogar noch vor einigen Jahren hätte das Buch von Zbigniew Kruszyński auf Unverständnis oder zumindest auf Mißverständisse bei den Lesern stoßen können. Heute, nach einem Schnellkurs zum Postmodernismus und Dekonstruktionismus, den wir auch in Polen absolviert haben, schreckt uns kein Buch, auch wenn es auf noch so raffinierte Weise seine Übermittlung und Niederschrift kompliziert. [...]." (M. Orski: Autokreacje i mitologie [zwięzły opis spraw literatury lat 90] [Selbsterschaffung und Mythologie. Eine kurze Beschreibung der Probleme der Literatur der 90er Jahre]. Wrocław 1997, S. 34.) Es geht weniger um den sorglosen Ton, mit dem der Rezensent es sich vorbehält, seine Distanz gegenüber den ungeliebten "-ismen" hervorzuheben. Es ist deutlich zu sehen, daß Postmodernismus hier mit künstlerischer Innovation, mit Komplizierung und formaler Raffinesse bis hin zur "Unlesbarkeit" gleichgesetzt wird.
4. T. Burek: 1905, nie 1918. In: Problemy literatury polskiej lat 1890-1939 (Probleme der polnischen Literatur von 1890-1939). Serie 1. Red. H. Kirchner, Z. Żabicki, M.R. Pragłowska. Wrocław 1972, S. 102.
5. Man kann hier fragen, ob wir es im literarischen Leben der 80er Jahre nicht zufällig mit einem weiteren Versuch zu tun hatten, diese Unterschiede zu nivellieren. Die Intuition verrät uns, daß dies keine grundlose Frage ist.
6. T. Sławek: "Post-modernizm" a re-wizja współczesności. Brzozowskiego krytyka modernizmu ("Post-Modernismus" und die Re-vision der Gegenwart. Brzozowskis Kritik des Modernismus). In: Postmodernizm w literaturze i kulturze krajów Europy Środkowo-Wschodniej (Der Postmodernismus in der Literatur und Kultur Mittel- und Osteuropas). Red. H. Janaszek-Ivaničková, D. Fokkema. Katowice 1995, S. 28.
7. P. Czapliński: O apetycie, który dopisuje (Vom gesunden Appetit). "Gazeta-Książki" 1997, Nr. 12 (Hervorhebungen K.U.).
8. Als Minimalbedingung, um von solchen Beziehungen sprechen zu können, sollte gefordert werden, daß im Text selbst seine Fiktivität in besonderer Weise hervorgehoben wird.
on Jerzy Andrzejewski. Lebt in Sosnowiec.
Krzysztof Uniłowski - geb. 1967. Nach dem Polonistikstudium an der Schlesischen Universität begann er 1992 am Institut der Wissenschaften für Polnische Literatur der Schlesischen Universität zu arbeiten. Sein Interesse konzentriert sich auf die neuen Tendenzen in der polnischen Prosa nach 1956. Mit "FA-art" ist er seit 1989 verbunden, als Kritiker schreibt er auch für "Twórczość". Autor der literaturkritischen Abhandlung Skądinąd (Im Übrigen), Bytom 1998. Laureat des 2. Preises in dem von der M.K. Górscy-Stiftung veranstalteten Wettbewerb für die beste literaturwissenschaftliche Doktorarbeit für das Jahr 1997. Lebt in Katowice.